Wechsel-Wind
über die Wangen. David gelang es mittlerweile, den Tränenstrom zu ignorieren. Der reißende Fluß hatte sich weiter voraus an etwas, das aussah wie ein Damm aus Büschen und Müll, zu einem kleinen See gestaut.
David zögerte, Mom die Hiobsbotschaft zu überbringen; möglicherweise ließ sie deswegen den Ast fallen. Also verpackte er es. »Mom, wir haben ein Problem. Wo ist Dad?«
Das aber funktionierte nicht. »Was für ein Problem?« verlangte sie mit scharfer Stimme zu erfahren und richtete ihre geschwollenen Augen auf ihn.
David wischte sich die Augen mit dem Ärmel trocken. »Äh, Karen und ich sind losgegangen, un…«
»Allein?« Ihre Stimme klang plötzlich schrill – was alles andere als ein gutes Zeichen darstellte.
»Woofer und Tweeter sind bei ihr.«
»Jim!« rief Mom im Befehlston.
Aber sie erhielt keine Antwort. Statt dessen kamen Nimby und Chlorine. »Er spioniert die Kobolde aus«, meldete Chlorine mit trübem Gesicht. Ihre Augen sahen aus, als versuchten sie zu weinen, könnten es aber nicht, und so färbten sie sich statt dessen rot. Das mußte sich für Chlorine anfühlen, als hätte sie trockenes Laub in den Augen. »Wenn er antwortet, erfahren die Kobolde, daß er in der Nähe ist. Sollen wir ihm etwas mitteilen?«
Mom dachte nach. »Nein«, entschied sie dann. »Aber vielleicht könnt ihr uns auf andere Weise helfen. Karen ist verschwunden. Würdet ihr sie bitte suchen?«
»Nichts einfacher als das. Nimby weiß sicher, wo sie steckt.« Sie wandte sich ihm zu. Als einziger schien er keine Probleme mit den Augen zu haben. »Ist mit ihr soweit alles in Ordnung?«
Nimby nickte. »Dann sollten wir uns beeilen, sie zu holen. Du verwandelst dich in den Drachen, und ich laufe dir hinterher. Karen weiß, wie du aussiehst, deshalb wird sie keine Angst vor dir haben.«
Nimby verwandelte sich in den merkwürdigen Drachen, dann rannte er, von Chlorine gefolgt, davon.
Mom wandte sich David zu. »Du hast sie gehen lassen?« Trotz ihrer feuchten Augen war ihre Stimme eisig. David überlegte, ob ihre Tränen sich vielleicht in Schneeregen verwandelten, während sie ihr die Wangen hinunterliefen.
»Sie hat einfach nicht auf mich gehört, Mom«, rief er unter Tränen. »Sie hörte eine Kuhglocke und war auf und davon.«
Mom nickte. »Ja, das klingt ganz nach ihr«, sagte sie und schniefte. Dann lächelte sie – ein gepreßtes Lächeln. Also machte sie nicht ihn für Karens Verschwinden verantwortlich, aber David fühlte sich trotzdem schuldig.
»David, ich möchte hier nicht weggehen, solange ich auf die Frösche achtgeben muß«, sagte sie dann. »Könntest du vorsichtig nachsehen, was dein Vater macht?«
»Klar.« Er ging in die Richtung, aus der Nimby und Chlorine gekommen waren. Schon bald erblickte er Dad – umzingelt von kleinen, häßlichen menschenähnlichen Wesen mit übergroßen Köpfen und Füßen: Kobolde. Sie hatten Dad gesehen, und wahrscheinlich war er nicht mehr im Schutzbereich der Straße, denn sie schlichen entschlossen an ihn heran.
»Dad! Dad!« schrie David. »Paß auf!« Aber zu spät. Die Kobolde hetzten über die geringe Entfernung, die sie noch von Davids Vater trennten, und stürzten sich wie ein Fliegenschwarm auf ihn. Er versuchte, sie abzuschütteln, aber Dad war ein Physikprofessor und kein Kämpfer, und die Kobolde waren ihm zahlenmäßig weit überlegen. Es dauerte nicht lange, und er lag hilflos am Boden. David war klar, daß er etwas unternehmen mußte, aber ihm fiel nichts ein. Die Kobolde trugen Dad fort. Es waren viel zu viele, als daß ein Zwölfjähriger im Kampf gegen sie auch nur die geringste Chance gehabt hätte. Dad hätte die verzauberte Straße niemals verlassen dürfen. Und Karen auch nicht. Hatten die Kobolde auch sie gefangen? Nimby hätte Dad warnen können – aber Nimby war auf dem Weg zu Karen. Weil David sie nicht abgehalten hatte, vom Wohnmobil wegzulaufen.
»Mom! Sean!« brüllte er. »Sie haben Dad geschnappt!«
»O nein!« rief Mom aus; sie wirkte wacklig in den Knien.
»Wir haben nur eine einzige Chance«, sagte Sean grimmig und blinzelte sich die Augen tränenfrei. »Das Floß wäre zu langsam. Gib mir die Knaller.« Mom reichte ihm den Ast. Mit tränennassen Augen starrte sie ihn an; David hatte sie noch nie so aufgelöst erlebt.
»Versuche die Kobolde von mir abzulenken«, forderte Sean David auf. Dann machte er sich entschlossen auf den Weg zum Damm.
»Von dir? Nicht von Dad?«
»Genau. Mach schon!«
Anscheinend wußte
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