Weg des Zorns 01 - Die Kriegerin
lassen müssen, erholten sich allmählich von dem lähmenden Schock dieses völlig unerwartet über sie hereingebrochenen Blutbades. Viele waren es nicht, und fast alle waren verletzt.
Noch nie zuvor hatte Alicia rings um sich das Schreien von Sterbenden und Verwundeten gehört. Dann sah sie das erste Opfer: Es schrie voller Entsetzen, während es mit bloßen Händen versuchte, seinen weit aufgerissenen Unterleib zusammenzupressen. Ein weiteres Opfer - ein Schnellfeuergeschütz-Kanonier, der sich jetzt wie betäubt aus dem Sitz seiner großen Automatikwaffe mit ihren zahlreichen Geschützläufen erhob - hob ungläubig die Arme und starrte die blutüberströmten Stümpfe seiner Handgelenke an. Ein weiteres ...
Alicia zwang sich, ihre Umwelt nicht mehr wahrzunehmen. Sie hörte nicht auf, ihre Umwelt zu sehen, wandte nicht den Blick ab, hörte nicht für einen Moment damit auf, nach weiteren möglichen Bedrohungen Ausschau zu halten, doch innerlich distanzierte sie sich nach Kräften von der Direktheit dieser Bilder von Tod und Vernichtung. Sie konnte nicht anders. Sie musste es tun. Sie durfte sich davon nicht von ihrer Aufgabe ablenken lassen, solange der Rest ihrer Schützengruppe sie genau dort benötigte, wo sie sich gerade aufhielt, und sich darauf verließ, dass sie ebenso unerschütterlich ihre Aufgabe erledigte wie ihre Kameraden die ihren.
Unbewusst hob sie das eigene Gewehr, nahm eine Gestalt ins Visier, die sich gerade aus einem im Vergleich zu den bisherigen deutlich tieferen Schützenloch erhob, eine Waffe in der Hand. Der Helmcomputer überlagerte die fremde Person mit den leuchtend roten Umrissen einer unidentifizierten, möglichen Bedrohung, und Alicia sah, dass der Fremde Zivilkleidung trug, keinerlei Uniformteile der Miliz. Auch einen Helm hatte er nicht, und es war offensichtlich, dass der Rauch und der Staub des Mörserbeschusses ihm weitgehend die Sicht nahm. Eine leise Stimme im Hinterkopf wies Alicia darauf hin, dass die eingeschränkte Sehfähigkeit ihres Gegners ihr selbst einen unfairen Vorteil verschaffte, doch noch während Alicia diese Stimme hörte, ging ihr gleichzeitig auch die Stimme ihres Großvaters durch den Kopf.
Im Kampf geht es nicht um ›Fairness‹, Alley. Im Kampf geht es darum, dem anderen eine Kugel notfalls auch in den Rücken zu verpassen, bevor er dir eine Kugel in den Rücken verpasst - oder einem deiner Kameraden. Du bist nicht die Heldin in irgendeinem Holodrama, und du befindest dich auch nicht auf dem ›Feld der Ehre‹: Du befindest dich auf einem Schlachtfeld. Vergiss das nie!
Ihre Fingerspitze berührte den Abzug. Der Rückstoß des Sturmgewehrs traf sie an der Schulter, doch Alicia zuckte nicht einmal. Drei Kugeln trafen das Ziel, genau in der Körpermitte.
Ich hab's nicht vergessen, Grandpa, erklärte sie Sergeant Major O'Shaughnessy, während der Mann, den Alicia gerade erschossen hatte, zu Boden stürzte.
Kapitel 10
»Wo befindet sich Kuramochi gerade?«
»Steht kurz vor den Promenaden, Ma'am.«
Zufrieden nickte Serafina Palacios, dann blickte sie wieder auf die allgemeine Lagekarte.
Der Angriff auf ihren eigenen Kordon begann sich allmählich zu legen. Das beruhigte sie zutiefst. Bei den ersten bedrohlich wirkenden Annäherungen war es den Marines in ihren Schützenlöchern gelungen, die Randalierer zurückzutreiben, indem sie einige Schüsse über deren Köpfe hinweg abgegeben hatten oder einige gezielte Schüsse vor ihnen in den Boden einschlagen ließen, ohne dass es zu Opfern kam. Doch der Ansturm der Menschenmassen, die diese vorderste Front immer weiter voranschoben, hatte das geändert. Die vordersten Aufständischen wurden von den anderen vorwärts gestoßen, sodass ihnen gar keine andere Wahl blieb, als sich immer weiter dem Kordon zu nähern. Major Palacios bezweifelte, dass die Vordersten das gewollt hatten, doch das änderte nichts an dem, was dabei faktisch geschah - und es wurde auch nicht besser dadurch, dass die meisten von ihnen nun einmal bewaffnet und einige von ihnen in echten Blutrausch verfallen waren. Als dann die Ersten von ihnen das Feuer auf die Marines eröffneten, war dem Major nichts anderes übrig geblieben, als ihren Soldaten zu gestatten, das Feuer zu erwidern.
Deswegen lagen jetzt vor den vordersten Stellungen der Marines weit mehr als zweihundertfünfzig Leichen auf dem Boden. Wenigstens war es den Sanitätern gelungen - nicht zuletzt durch tatkräftige Unterstützung der Sicherheitskräfte des Raumhafens -, die
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