Weg des Zorns 02 - Der Zorn der Gerechten
genoss Reichweite und Detailgenauigkeit von Megairas Sensoren, als das Zentralgestirn von Thierdahl in der Ferne heller und heller wurde. Sie waren fünfzehn Tage weit von MaGuire entfernt - nach ihren eigenen Uhren waren es elf Tage -, und ihre Frachträume waren überfüllt mit illegal hergestellten medizinischen Versorgungsgütern. Erneut fragte sich Alicia, was wohl am Ziel ihrer Reise auf sie warten mochte. Bislang war alles deutlich reibungsloser verlaufen, als sie es erwartet hatte.
»Natürlich, kleines Menschenkind! Was hätte denn bitte im Wurmloch-Raum schieflaufen sollen?«
»Gar nichts, aber es liegt in der menschlichen Natur, sich immer und überall Sorgen zu machen. Wenigstens brauche ich mich für das, was wir an Bord haben, nicht schuldig zu fühlen.«
»Sei nicht albern. Auf der Suche nach deiner Rache gibt es keinen Spielraum für ›Schuld‹ oder ›Unschuld‹.«
Gequält verzog Alicia das Gesicht, so überzeugt hatte Tisiphone geklungen. Manchmal gelang es Alicia, mehrere Tage in Folge einfach zu verdrängen, wie fremdartig die Furie in Wahrheit doch war, aber dann sprach Tisiphone wieder etwas in dieser Art aus. Das war kein Getue. Es war schlichtweg die Wahrheit - so wie die Furie sie sah.
»Leider kann ich dir hier nicht zustimmen. Ich will Gerechtigkeit, keine blindwütige Rache. Und ich würde es vorziehen, niemanden zu verletzen, bei dem es sich vermeiden lässt.«
»Gerechtigkeit ist eine Selbsttäuschung, kleines Menschenkind.« Die geistige Stimme der Furie troff vor Hohn. »Dein Volk hat so viel gelernt, aber ihr habt auch viel wieder vergessen.«
»Auch du könntest durchaus davon profitieren, das eine oder andere zu lernen - oder auch zu vergessen.«
»Beispielsweise?«
»Beispielsweise die einfache Tatsache, dass Rache ein sich selbst speisendes System ist. Wenn du dich an jemandem ›rächst‹, lieferst du üblicherweise jemand anderem einen guten Grund, sich an dir rächen zu wollen.«
»Und du denkst, für die von dir so geschätzte Gerechtigkeit gilt das nicht? Du bist doch zu klug, so etwas zu denken, Alicia DeVries - oder wärest es zumindest, wenn du es nur zulassen würdest.«
»Dir entgeht, was ich damit eigentlich meine. Wenn eine Gesellschaft sich für nackte Rache entscheidet, dann läuft es letztendlich immer darauf hinaus, wer den dickeren Knüppel in der Hand hat. Die Gerechtigkeit - vor allem die Gerechtigkeit einer Justiz - liefert die Regeln, die den Menschen ein Zusammenleben mit einem gewissen Anstand ermöglicht.«
»Pah! ›Gerechtigkeit‹ oder ›Justiz‹ - das ist doch nichts anderes als Rache, nur eben in prächtigen Gewändern! Es kann keine Gerechtigkeit ohne Strafe geben - oder würdest du etwa behaupten wollen, man sei mit Colonel Watts ›gerecht‹ verfahren - nach dem Unrecht, das er deiner Kompanie angetan hat?«
Unwillkürlich fletschte Alicia die Zähne, doch dann schloss sie die Augen und kämpfte gegen den Zorn an, als sie die Belustigung der Furie bemerkte.
»Nein, ich würde das nicht als ›Gerechtigkeit‹ bezeichnen, und ich will auch nicht bestreiten, dass Strafe ein Teil der Gerechtigkeit ist. Ich werde nicht einmal so tun, als sei es mir bei diesem Mistkerl um irgendetwas anderes gegangen als um Rache. Aber es muss eine Schuld bestehen - und Watts war schuldig, daran besteht nicht der Hauch eines Zweifels!-, bevor man eine Strafe verhängen kann. Eine Gesellschaft kann nicht einfach durch die Gegend laufen und Leute zusammenschlagen, ohne sich zunächst zu vergewissern, dass derjenige, der die Strafe erleidet, auch tatsächlich schuldig ist. Alles andere wäre die schlimmste Form von Willkür - und ein verdammt gutes Rezept dafür, über kurz oder lang in der Anarchie zu landen.«
»Was interessiert mich denn die Anarchie?«, fragte Tisiphone nach. »Und ich bin auch nicht Teil der ›Gesellschaft‹. Du übrigens auch nicht. Du bist ein Individuum im Kampf gegen ein Unrecht, das dir und anderen widerfahren ist - anderen, die diesen Kampf selbst nicht mehr führen können. Ist das falsch?«
»Das habe ich doch gar nicht behauptet. Ich sage nur, ich möchte nicht, dass irgendwelche Unschuldigen geschädigt werden. Aber ob euch das nun passt oder nicht, die Gerechtigkeit - die Regeln, die das Gesetz vorgibt, nicht die Regeln, die sich der Mensch selbst macht - ist genau das, was die menschliche Gesellschaft zusammenhält. Das Gesetz gestattet es den Menschen, mit einem gewissen Gefühl der Sicherheit zusammenzuleben, und
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