Wege des Herzens
nicht gewusst.« Ania war überrascht, dass sie bei dieser Nachricht nichts empfand, weder Erleichterung noch Betroffenheit. Nur Gleichgültigkeit.
Lech hatte sein metallenes Maßband herausgezogen und kritzelte einige Zahlen in sein Notizbuch. Ania wünschte sich sehr, dass ihre Mutter von alldem hier profitieren würde, und hoffte, dass genügend Kundinnen den Weg die Anhöhe hinauf nicht scheuen und bei ihrer Mutter neue Frühjahrsgarderobe bestellen würden. Dann wäre die ganze Anstrengung nicht umsonst gewesen.
Während sie ihrem Schwager beim Ausmessen zusah, kam eine Gestalt den Hügel herauf, ein Mann mit einem Rucksack auf dem Rücken. Hin und wieder blieb er stehen, um sich umzusehen und die Gegend zu betrachten. Ania kniff die Augen zusammen.
Es war Carl.
Die Arbeit in der Klinik gefiele ihr sehr, nicht zuletzt wegen der guten Atmosphäre, sagte Amy. »Ich hoffe, dass diese Ania
nie
mehr zurückkommt. Hoffentlich lernt sie drüben einen reichen Polen kennen, dem ein Dutzend Restaurants gehören. Dann kann ich hier arbeiten, bis ich sterbe«, erklärte sie Clara.
»Darauf würde ich mich nicht verlassen, Amy«, erwiderte Clara. »Ich habe gehört, dass ihr Freund ihr bis nach Polen nachgefahren ist. Ania könnte also praktisch jede Minute dort an der Tür stehen.«
»Was die Leute aus lauter Liebe nicht alles für einen Quatsch machen«, meinte Amy.
»Ich weiß! Ist das nicht verrückt? Bist du eigentlich noch mit deinem Freund Ben, diesem netten Leicheneinbalsamierer, zusammen?«
»Ja, das bin ich zufälligerweise. Wie charmant, dass du dich an ihn erinnerst.«
»Oh, natürlich. Er war mir sehr sympathisch.«
»Ich vermute mal, dass ihr eine Menge gemeinsam hattet, nachdem ihr ja gewissermaßen in derselben Branche tätig seid«, sagte Amy.
Falls Clara irritiert davon war, in dieselbe Kategorie wie ein Leichenbestatter eingeordnet zu werden, so ließ sie es sich nicht anmerken.
»Kommt dein Dad denn mit ihm aus?«
»Ich glaube, er weiß nicht so recht, was er mit ihm reden soll. Er hat immer Angst, dass Ben anfängt, über Leichen zu sprechen, dabei tut er das so gut wie nie. Auf jeden Fall ist Dad momentan voll entflammt für diese Bekannte von dir.«
»Meine Bekannte?«
»Ja, du weißt schon, Mrs.Sowieso von Lilac Court.«
»Claire Cotter! Nie im Leben!«
»Ist sie so schlimm?«, fragte Amy neugierig.
»Nein, sie ist wunderbar. Sie ist die ideale Frau für deinen Vater.« Und erleichtert stellte Clara fest, dass sie es tatsächlich so meinte.
»Okay, wenn du das sagst, dann werde ich sie mit größerem Wohlwollen betrachten.«
Fiona hörte interessiert zu, als Bobby ihr erzählte, dass Carl sich überraschend ein paar Tage von der Schule freigenommen habe. Er hoffe nur, dass es seinem Sohn so weit gutginge.
»Wissen Sie, Bobby, ich habe noch nie einen Mann kennengelernt, der so in Ordnung ist wie Carl. Ich hätte gern einen Lehrer wie ihn gehabt, als ich noch zur Schule ging.«
»Tja, wahrscheinlich hat er sich freigenommen, um einmal in Ruhe über sein Leben nachzudenken. Er ist jetzt in dem Alter, in dem er sein eigenes Reich haben sollte. So wie Sie auch bald, Fiona.« Bewundernd betrachtete Bobby den Opalring.
»So wie ich«, wiederholte Fiona in einem merkwürdig gedämpften Tonfall.
»Wollen wir uns am Donnerstag ein paar Hochzeitskleider anschauen?«, schlug Fionas Mutter vor, denn an diesem Tag hatten die Geschäfte länger geöffnet.
»Ja, wir suchen uns für dich was Schönes zum Anziehen, Mam.«
»Normalerweise ist es üblich, dass sich die Braut besonders schön anzieht«, erwiderte ihre Mutter trocken.
»Ania näht doch mein Kleid, das ist schon lange ausgemacht.«
»Aber ist sie nicht …«
»Nein, im Moment ist sie nicht da, aber sie kommt bestimmt wieder zurück«, erklärte Fiona überzeugt.
Fiona hatte nämlich eine SMS von Ania bekommen, die sich dafür extra ein Handy ausgeliehen hatte: »Mamusia und ich haben lange über dein Hochzeitskleid nachgedacht. Ich bin überzeugt, dass es wunderbar an dir aussehen wird. Vertraust du uns? Du wirst die schönste Braut in ganz Irland sein. Ich freue mich so für dich. Alles Liebe, Ania.«
Barbara hatte die Absicht, bis zu der Hochzeit noch mindestens sieben Kilo abzunehmen.
Ein realistisches Ziel, wie sie sich sagte, während sie sich ein Eiersandwich mit Butter und Mayonnaise schmecken ließ. Ein Kilo pro Woche würde genügen.
Molly Carroll und Maureen Ryan hatten Angenehmeres im Sinn. Sie
Weitere Kostenlose Bücher