Wehe wenn der Wind weht
um sich zu vergewissern, daß mit ihm alles in Ordnung sei.
Die Wiege war leer.
Sie ging wieder nach unten in das Gästezimmer, in dem Diana das Baby zur Welt gebracht hatte und wo sie jetzt wohnte.
Auch das war leer.
Edna durchsuchte das ganze Haus und ging dann hinaus in die Nacht. Sie machte sich zum Bergwerk auf. Auf halbem Wege dorthin begegnete ihr Diana, die die Straße herunterkam. Sie hielt den Umhang, den sie über ihr Nachthemd gestreift hatte, zum Schutz gegen den Wind fest um sich gezogen.
In ihren Augen war ein seltsamer Blick, und sie sprach erst, als Diana sie ins Haus zurückgebracht hatte. Dann, als sie wieder in ihrem Bett lag, schaute sie ihrer Mutter in die Augen.
»Es ist ganz merkwürdig«, sagte sie. »Weißt du, daß man etwas hören kann, wenn der Wind so weht?«
»Was?« fragte Edna, obwohl sie die Antwort wußte.
»Man hört ein Baby weinen«, sagte Diana. »Aber jetzt hat es aufgehört. Ich hab' dafür gesorgt, daß es aufhörte.« Und dann war sie eingeschlafen.
Edna Amber blieb die ganze Nacht wach, versuchte zu überlegen, was zu tun sei. Beim Morgengrauen hatte sie eine Entscheidung getroffen.
Sie würde nichts unternehmen und den Rest ihres Lebens damit verbringen, sich um ihre Tochter zu kümmern.
Sie würde nicht in Schande leben müssen und Diana ebenfalls nicht.
Sie war sicher, daß sie das schaffen würde: Diana hatte nicht die leiseste Idee, was geschehen war, und Edna konnte nur beten, daß sie sich niemals daran erinnern würde.
Edna würde sie beschützen und für sie sorgen. Schließlich war Diana alles, was sie hatte, und sie liebte sie.
Und außerdem gab es keine Möglichkeit, das Baby wieder lebendig zu machen.
Edna kam in die Gegenwart zurück und blickte sich wieder in der Kinderstube um, während sie weiter ihren Gedanken nachging.
Es war gut gegangen.
Die Jahre waren verstrichen und Diana hatte darauf bestanden, die Kinderstube so zu lassen, wie sie war. Sie wollte sie für die Zeit erhalten, sagte sie, wenn sie einmal heiraten und selbst ein Baby haben würde. Aber in Wirklichkeit, das wußte Edna, hatte Diana die Kinderstube für sich behalten. Zuweilen hatte sie sogar in der Kinderstube geschlafen, ihren Teddybär fest an die Brust gedrückt und ihn gewiegt, wie eine Mutter ihr Kind wiegt.
Edna beaufsichtigte Dianas Leben so gut sie konnte, und lange Zeit liefen die Dinge gut. Es hatte das Problem mit Bill Henry gegeben und dann, vor zehn Jahren, hat es die beiden Nächte gegeben, die Diana im Krankenhaus von Pueblo verbracht hatte. Aber bis auf das waren die Jahre nicht schlecht gewesen.
Edna hatte alles verborgen halten können.
Doch jetzt fiel alles auseinander. Dianas Erinnerung kam zurück.
Edna blickte sich noch einmal in der Kinderstube um und befand, daß es jetzt Zeit dafür sei, auch sie aufzulösen.
Damit würde sie beginnen, wenn Diana mit Christie zum Zelten ging.
Dann, wenn die Kinderstube abgerissen war, würde sie entscheiden, was mit Diana zu geschehen hatte.
Edna wußte in ihrem Herzen, daß die Zeit gekommen war, daß Diana nicht mehr kontrolliert werden konnte.
Aber Diana war noch immer ihre Tochter, und sie wollte das, was geschehen mußte, aufschieben solange sie konnte.
Und außerdem wehte der Wind nicht, und wenn der Wind nicht wehte, war mit Diana alles gut.
Die Jahreszeit war weit vorangeschritten. Vielleicht würde der Wind in diesem Jahr nicht mehr wehen.
Und vielleicht würde Christie nicht weinen.
25
zwei tage später trafen drei Männer aus Denver in Amberton ein - ein Geologe und zwei Archäologen von der Universität. Matt Crowley führte sie zu der Höhle hoch und wartete, während die drei Männer ihre Arbeit verrichteten.
Während der Geologe den Tunnel untersuchte, legte einer der Archäologen einen Tauchanzug und ein Atemgerät an und stieg mit Hilfe eines Seils in den See am Boden des Schachtes hinab.
Das Wasser, kalt und kristallklar, war tiefer, als der Taucher erwartet hatte. Der Knochenhaufen lag fast acht Meter unterhalb der Oberfläche.
Obwohl er schnell arbeitete, die Knochen in Plastikbeutel packte und sie dann mit einem zweiten Seil nach oben ziehen ließ, war sein Luftvorrat fast erschöpft, als er mit seiner Arbeit schließlich fertig war und an die Oberfläche zurückkehrte. Ein paar Minuten später kamen die Wissenschaftler aus der Höhle.
»Nun?« fragte Matt.
Der Geologe sprach zuerst.
»Es ist eine Naturhöhle. Nichts weiter als ein Spalt im Sandstein. Das Wasser hat
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