Weiberabend: Roman (German Edition)
die jede Mutter wahnsinnig stolz wäre. Sie studierte Jura, und eines Tages, auf dem Heimweg von der Uni, wurde sie vor ihrem Haus von einem Auto überfahren. Ihre Mutter kam aus dem Haus gerannt und hielt sie an sich gedrückt, während sie auf den Notarzt warteten«, erzähle ich. Dann zögere ich. »Sie ist in den Armen ihrer Mutter gestorben.«
Nun herrscht Schweigen unter meinen Freundinnen. »Könnt ihr euch irgendetwas Traurigeres vorstellen?«, frage ich.
Alle haben aufgehört, ihren Nachtisch zu essen. Meine Freundinnen sehen mich an und schütteln den Kopf.
Liz bricht das Schweigen. »Wenn dein Kind schon sterben muss, in wessen Armen soll es dann sterben? In deinen oder denen eines Fremden?«
Ich sehe sie mit großen Augen an. Was sie gerade gesagt hat, klingt überraschend tröstlich.
»Du hast recht, Liz«, sage ich. »So habe ich das noch nie betrachtet.«
»Hör auf, so morbides Zeug zu reden, und iss endlich deinen Nachtisch«, sagt Helen zu mir.
»Ja«, fallen meine Freundinnen ein.
Ich nehme mir ein Schälchen und einen Löffel. Ich bin entsetzt darüber, wie ängstlich, verletzlich und ausgeliefert ich mich als Mutter fühle. Aber abgesehen davon, dass meine Kinder sterben könnten … und ich sterben könnte … und großen Wellen, dem Fliegen, Jungen in schnellen Autos, Krebs, Achterbahnen und Betäubungsmitteln … fürchte ich mich vor gar nichts.
Außer vielleicht vor Helens Desserts. Und aus dem Chor von »Mmm«s und »Aah«s um mich herum zu schließen, ist dieses hier ziemlich fatal. Ich nähere mich der Zabaglione vorsichtig, den Dessertlöffel verteidigungsbereit erhoben.
16 Die Vagina-Dialoge
I ch versuche, nicht an diese Jeans zu denken, in die ich mich seit einem Jahr zu quetschen versuche, als ich mir eine zweite Portion Zabaglione in mein Schälchen löffle.
Da ich gelegentlich zu Angstneurosen neige, gehe ich meistens lieber auf Nummer sicher. Aber beim Essen bin ich abenteuerlustiger und lasse mich leicht dazu überreden, alle Vorsicht über Bord zu werfen und mein Glück auf die Probe zu stellen, sagen wir, mit einer kalten Melonensuppe. Oder Fleisch auf meinem Teller, das irgendwann einmal gequiekt oder gewiehert hat, statt zu muhen oder zu meckern. Es gibt Menschen, die damit zufrieden sind, bei Erdnussbuttertoast und Spaghetti mit Hackfleischklößchen zu bleiben, und sich nie fragen, wie Ziegenkäse mit Koriander und Steinpilzen oder Schlammkrabbe mit schwarzem Pfeffer und grüner Papaya-Salsa schmecken könnte. Ich persönlich würde Sex mit diesen Leuten vermeiden.
Kochsendungen rufen bei mir meist eine ähnliche Reaktion hervor wie Hard-Core-Pornos bei anderen Menschen. Wie Jamie Oliver mit einer Forelle umgeht, mit welcher Leidenschaft Ainsley Harriott frische Kräuter preist, oder Nigella Lawsons schamlose Extase über einem Topf köchelnder Muscheln, so etwas macht mich scharf, ich gebe es zu. Nigella Lawson? Die Frau bekommt doch praktisch einen Orgasmus, wenn sie Aubergine mit Kreuzkümmel kostet. Und heute ist so ein Abend, an dem es mir egal ist, wer erfährt – Helen hat es vermutlich ohnehin schon ausgeplaudert –, dass ich in meinen sexuell abenteuerlichen Jahren auch ein- zweimal etwas mit Frauen hatte.
Seit mir Helen letztes Jahr dieses saftige Stückchen meiner persönlichen Geschichte entlocken konnte, bohrt sie ständig nach Einzelheiten. Lesbischer Sex ist eines ihrer liebsten Gesprächsthemen, und sie fängt spätestens alle zwei Wochen davon an. Die Geschichten meiner Affären findet sie ungeheuer unterhaltsam. Ich habe ihr erzählt, sie sollte das Thema endlich hinter sich bringen und es selbst mal mit einer Frau versuchen, aber jetzt, da sie wieder schwanger ist, wird das wohl bis zu ihrem nächsten Leben warten müssen. Helen wird noch auf dem Sterbebett bereuen, nie mit einer Frau geschlafen zu haben, aber in dieser Hinsicht hätte sie sich wirklich austoben sollen, bevor sie Kinder bekam. Wenn man Mutter wird, könnte man mitsamt den vielen Windeln auch gleich alle seine sexuellen Fantasien zum Trocknen aufhängen, die über heterosexuelle Monogamie hinausgehen. Außer natürlich, man macht es so wie meine Cousine Deidree und bekommt Kinder, lässt den Mann sitzen und zieht Anfang vierzig mit einer Frau zusammen.
Zwischen Löffeln voll Zabaglione steuert Helen nun das Schiff unserer Freundschaft in die Untiefen lustiger Anekdoten, als eine Art Erholung nach den Ozeanen von Traurigkeit, die wir gerade überquert haben. Sie bohrt und
Weitere Kostenlose Bücher