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Weiberabend: Roman (German Edition)

Weiberabend: Roman (German Edition)

Titel: Weiberabend: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanne Fedler
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Überlebende unter uns
    T am ist immer noch nicht gegangen.
    Auch nachdem die Tafel praktisch aufgehoben wurde und Fiona sich mit Ereka auf einen Joint nach draußen verzogen hat, aus Solidarität gegen die Ungeheuerlichkeit dessen, was hier zur Sprache gekommen ist. Arm in Arm kehren sie vom Balkon zurück.
    »Also, wer möchte eine Fußmassage?«, fragt Fiona und nimmt ein Fläschchen Massageöl aus ihrer Tasche. »Das hier ist meine eigene Kreation – Geranie, Rosmarin und Zitrusöl.«
    »Ich hätte gern eine«, sagt Ereka. Ich biete mich an, sie zu massieren.
    Sie macht es sich in dem großen Sessel bequem, und ich setze mich mit einem Handtuch im Schoß vor sie auf ein kleines Sitzpolster. Ihre Füße sind, wie der Rest von ihr, schwer und kräftig, die Fersen rissig und trocken. Die Füße einer Mutter, die buchstäblich den ganzen Tag auf den Beinen ist und nie Zeit für eine Pediküre hat, oder dafür, diesen Latschenkiefer-Fußbalsam einzumassieren, den sie jedes Jahr zum Muttertag bekommt. An diesen Füßen ist die harte Arbeit des Mutterseins gnadenlos abzulesen.
    »Wie geht es dir, Ereka?«, frage ich sie und reibe ihren linken Fuß mit einer öligen Hand ein. »Ich meine, wie geht es dir wirklich? «
    »Ganz gut, glaube ich«, sagt sie und seufzt laut. Sie schließt die Augen und atmet tief durch.
    »Und wie geht es Olivia?«, frage ich vorsichtig.
    »Sie hat gute und schlechte Tage«, sagt Ereka, ohne die Augen zu öffnen. Ich sage erst einmal nichts mehr und konzentriere mich darauf, erst ihren großen Zeh zu massieren, dann die Haut zwischen den Zehen. Ihr Fuß in meinem Schoß wird schwerer. Ich habe es nicht eilig, das Schweigen zu brechen.
    Dann sagt sie: »Manchmal, wenn sie schläft, schaue ich sie an und stelle mir vor, wie sie als normales Kind wäre, weißt du? Wenn sie schläft, sieht sie aus wie ein ganz normales Kind.«
    Ich versuche das zu verdauen. So schwer es mir fällt, ihr zuzuhören, will ich großzügig genug sein, ihr Raum zum Reden zu geben, so wie sie gutmütig unser unablässiges Gejammer über unsere Kinder erträgt. Aber wenn Ereka von Olivia spricht, fühle ich mich hilflos, so ähnlich wie bei dem vergeblichen Versuch, ein unordentliches Zimmer aufzuräumen, in dem nichts seinen festen Platz hat. Ich taste mich voran, suche nach den passenden Fragen – ich will Interesse andeuten, nicht indiskret sein, ihr Unterstützung anbieten, ohne zudringlich zu wirken.
    »Das muss dir sehr weh tun«, sage ich und überlege im selben Moment, ob sich das nicht lahm anhört.
    Sie lächelt und hält die Augen weiterhin geschlossen. »Es hat lange wehgetan, akzeptieren zu müssen, dass es ihr nicht allmählich besser gehen wird, dass sie nicht eines Morgens aufwachen und gesund sein wird. Manchmal glaube ich, ich weiß gar nicht mehr, wie es sich anfühlt, wenn nichts wehtut.«
    Meine Finger werden schwach. Ich umfasse ihren ganzen Fuß zärtlich mit beiden Händen.
    »Liebst du sie?«, frage ich mutig.
    »Oh ja«, sagt sie. »Es ist unmöglich, das eigene Kind nicht zu lieben. Aber ob ich mir manchmal wünsche, sie wäre nie geboren worden? Oder bei der Geburt gestorben? Ich müsste lügen, wenn ich nein sagen würde. Manchmal, im Park oder am Strand, sehe ich all diese glücklichen Familien, diese normalen Kinder, die herumrennen und groß werden, genau so, wie es sein sollte, und ich bekomme dieses Gefühl, wie früher als kleines Mädchen, wenn ich als Einzige nicht zu einer Geburtstagsparty eingeladen war. Dann will ich mit dem Fuß aufstampfen und sagen: ›Das ist gemein, ich will auch zwei normale Kinder, wie alle anderen!‹ Ich muss irgendeine gewaltige karmische Schuld zu begleichen haben«, sagt sie ironisch.
    »Mein Leben ist keine Entscheidung, die ich getroffen habe«, fährt sie fort. »Auch wenn die Leute das manchmal denken. Ich habe mir keine Sekunde lang vorgestellt, dass ich für ein behindertes Kind sorgen müsste, als ich so um meine Hausgeburt gekämpft habe. Ich war ehrlich davon überzeugt, dass ich etwas Großartiges tat, indem ich mein Kind ohne Angst, ohne Medikamente und in unserem vertrauten Zuhause auf die Welt bringe. Das sollte so ein guter Anfang für uns alle werden. Ich habe sehr wohl gewusst, worauf ich mich da einließ, verstehst du? Und vielleicht zahle ich letzten Endes jetzt den Preis für meine eigene Sturheit.« Sie seufzt, und das Klimpern ihrer Armreifen stört das Schweigen.
    Plötzlich ist es still im Raum. Mir wird bewusst, dass alle unsere

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