Weiberabend: Roman (German Edition)
schockiert, um ehrlich zu sein.
»Ich weiß, wie man Menschen führt«, sagt sie, »und ihn mit mir schlafen zu lassen ist eine Abkürzung, genauso, wie ich langwierige Verhandlungsprozesse im Büro am liebsten kurzfasse. Das ist einfach wesentlich effizienter. Und normalerweise ist es sehr schnell vorbei.« Sie blickt in die Runde. »Das solltet ihr alle mal versuchen …«
»Du meinst, du kommst dabei nicht?«, fragt Helen.
»Manchmal, das hängt von meiner Stimmung ab. Aber ich verrate euch allen einen kleinen Trick – Gleitcreme, und ehe ihr euch verseht, ist es vorbei, und ihr könnt weiter euer Buch lesen oder in Ruhe einschlafen.«
Vermutlich machen wir alle ein Gesicht, als hätten wir gerade einen Autounfall beobachtet. »Was?«, fragt Liz.
»Ich weiß nicht …«, sagt Fiona gedehnt. »Das hört sich einfach nicht so an, als sollte …«
»Mein Ehemann ist sexuell befriedigt, wir streiten sehr selten, und das ist das Rezept für eine glückliche Ehe«, sagt Liz. »Was ist mit dir, Ereka?«, fragt Liz auf der Suche nach einer Verbündeten. »Hast du nicht auch fast jeden Tag Sex mit Jake?«
Ereka lächelt. Sie und Jake waren schon als Kinder ineinander verknallt. Er hat sich einer beständigen Liebe für sie hingegeben, als sie fast noch ein kleines Mädchen war, mit einer heranreifenden Sexualität, die er allein hegte, pflegte und zum Leben erweckte. Jake streichelt Ereka immer noch in aller Öffentlichkeit übers Haar oder hält ihre Hand. Für all jene, die nicht an Seelengefährten glauben, sind Jake und Ereka der unbestreitbare Beweis. Natürlich hat er ihren Wunsch nach einer Hausgeburt unterstützt. Und er verteidigt Ereka weiterhin seiner Familie gegenüber, die ihr die Schuld an allem geben, vor allem seine Mutter. Weil Ereka das Baby in Gefahr gebracht hat. Weil sie das Schicksal herausgefordert hat (als bräuchte es eine besondere Einladung, um zuzuschlagen). Weder Ereka noch Jake verharren in Selbstmitleid, trotz einer zutiefst menschlichen Sehnsucht nach dem Leben, das dem Rest von uns, mit »normalen Kindern«, geschenkt wurde. Der bequeme Weg.
Einmal habe ich Frank in einem intimen Augenblick gestanden, dass ich mich schuldig fühle, weil eine Frau wie Ereka in unserer Mitte praktisch die Statistik verkörpert, die uns anderen sicheres Geleit verspricht. Er hat gelächelt und gesagt: »Irgendjemand muss eben den kürzesten Strohhalm ziehen.« Ereka hat mir auch einmal gestanden, dass sie eine bizarre Erleichterung empfindet, Olivia bekommen zu haben. »Wenn deine schlimmste Angst Wirklichkeit wird«, hat sie gesagt, »ist es vorbei. Das ständige, ängstliche Warten darauf, dass etwas Schlimmes passiert, hört endlich auf, und du kannst mit deinem Leben weitermachen.«
»Wir schlafen oft miteinander«, sagt Ereka jetzt. »Nicht so oft wie am Anfang, aber ziemlich häufig. Manchmal liegen wir auch nur da und halten uns im Arm. Wir küssen uns viel.«
»Küssen?«, fragt Dooly. »Ich kann mich gar nicht erinnern, wann ich Max zuletzt geküsst habe. Ich meine, nicht nur ein Begrüßungsküsschen auf die Wange, sondern einen richtigen, tiefen Zungenkuss.«
»Wir küssen uns überhaupt nicht mehr«, sagt Helen.
»Ich will auch eigentlich gar nicht«, sagt Fiona.
»Ich brauche es nicht«, fällt Liz ein.
Wir seufzten. Wie sind wir nur alle an diesem Punkt angekommen, noch keine Vierzig und auf Schmuse-Entzug, in fanatischem Glauben an die Macht und die Herrlichkeit des Kusses vereint? Erst neulich bin ich an einem jungen Pärchen vorbeigefahren, das völlig in einen tiefen Kuss versunken war, und ich habe gehupt, aus dem Fenster gewinkt und ihnen zugejubelt. Sie blickten auf, bemerkten verwundert den vorbeifahrenden Wagen und hielten meine Reaktion für eine Zurschaustellung konservativer Abneigung gegen ihre öffentliche Zurschaustellung von Leidenschaft. Aber ich wollte sie feiern. Ich habe mich so gefreut. Ich war wahnsinnig vor Neid. Bei dem Konzert in Nebworth hat Robbie Williams eine junge Frau aus dem Publikum zu sich hochgezogen und angefangen, sie zu küssen. Ich weiß das, weil ich die DVD gekauft habe, und Frank hat mich schon mehrmals dabei ertappt, wie ich diese Stelle immer wieder zurückgespult habe. »Ein trauriger Tag«, habe ich ihn öfter brummen gehört, wenn er mit einem frischen Bier vom Kühlschrank zurückkommt, »wenn die eigene Ehefrau eine Affäre mit einem Videoclip hat.« Ich will kein Voyeur sein. Aber ich war auch einmal so leidenschaftlich. So
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