Weihnachten - Das Wagnis der Verwundbarkeit
eilfertig von den Lippen. »Da sagte die Pförtnerin zu Petrus: Bist du nicht auch einer von den Jüngern dieses Menschen? Er antwortete: Nein.« (Joh 18,17) Dreimalspricht er dieses klare, aber falsche »Nein«, mit dem er sich aus der Gefahrenzone herauszuziehen versucht. Dann kräht der Hahn.
Heute noch erinnern die Hähne auf vielen Kirchtürmen weithin sichtbar daran, wie schnell ein Verrat von Freundschaft, Verbundenheit und Gefährtenschaft droht, wenn Gewalt ins Spiel kommt. Menschen werden schnell verlassen, wenn sich ihr Glück wendet und wenn statt des Jubels der Menge ein unwägbarer Machtzugriff erfolgt. Jesu Prophezeiung tritt ein: »und mich werdet ihr allein lassen« (Joh 16,32). Schon in Getsemani zeigt sich das, als Jesus sich von Angst erfüllt an Gott wendet: Die Jünger schlafen ein, statt mit ihm vereint zu beten. Die Verleugnung durch Petrus in der Nacht des Verrats ist so signifikant, dass alle vier Evangelien von ihr berichten. Dabei ist bemerkenswert, dass die Bibel unter den Verrätern und Leugnern namentlich nur Männer nennt. Die Frauen, allen voran Maria Magdalena, stehen Jesus bei – obwohl auch sie als Gefährtinnen eines Verurteilten mit harten Maßnahmen rechnen müssen. Lediglich jener Jünger, »den Jesus liebte«, harrt nach dem Johannes-Evangelium mit den Frauen am Kreuz aus (Joh 19,26).
Wie der dramatische Verlauf der Passion Jesu war und wer letztlich das Todesurteil beschlossen und durchgesetzt hat, lässt sich heute nicht mehr feststellen. 22 Theologisch aber hat die Entwicklung eine innere Logik. Gott ist an Weihnachten Mensch geworden, und als solcher geht Jesus seinen Weg bis zum bitteren Ende. Am Ende des irdischen Lebens aber steht der Tod, der das Leben verletzt und vernichtet. Bei Jesus nimmt er die schlimmstmögliche Wendung mit Folterung, Schmähung und Kreuzigung. Jesus sucht diesen Tod nicht. Ihmgeht es nicht darum, zum Märtyrer zu werden. Das stellt das Markus-Evangelium in der Getsemani-Geschichte heraus, als Jesus Gott bittet: »Mein Vater, wenn es möglich ist, gehe dieser Kelch an mir vorüber. Aber nicht wie ich will, sondern wie du willst« (Mt 26,39).
Jesus hätte durchaus die Möglichkeit, der Tötung auszuweichen, wenn er von seiner Reich-Gottes-Botschaft abrückt und sich früh genug aus der Öffentlichkeit zurückzieht. Aber das wäre ein Verrat an der Reich-Gottes-Botschaft, der zugleich einen Verrat an Gott und Mensch bedeutet. Stattdessen bleibt Jesus konsequent bei seiner Position. Er tut das, was kein Mensch von einem Anderen verlangen, nicht einmal erbitten kann. »Das ist mein Leib, der für euch hingegeben wird« (Lk 22,19). Das eigene Leben zu opfern für Andere, das ist die höchste Gabe des Lebens, die überhaupt möglich ist. Sie ist eine Hingabe seiner selbst. Im Kreuz, dem »worst case«, zeigt sich das ganze Ausmaß, das im Wagnis der Inkarnation liegt. Spätestens das Kreuz zerbricht die religiöse Vorstellung von Gott, der über den Dingen thront und mit der Verwundbarkeit der Welt nichts gemein hat. Jesus fällt der Gewalttätigkeit der Menschen zum Opfer. Sein gemarterter, verstümmelter Körper offenbart schonungslos die Gewalt, die in Beziehungen von Menschen lauert. Hier wird deutlich, was Menschen einander anzutun in der Lage sind. Jesus wird auf brutale und noch dazu schändlichste Weise gefoltert und umgebracht. Sein ganzer Körper wird zu einer klaffenden Wunde.
Dennoch ist diese Kreuzigung zugleich ein Akt des Widerstands gegen alle Kreuzigungen des Lebens, die unzählige Menschen erleiden müssen. Jesus ist zum höchstmöglichen Sacrifice bereit, das ein Mensch gebenkann. Dies ist etwas zutiefst Humanes. »Liebe bedeutet nämlich, sich bis zum Leiden verletzlich zu machen, sich um andere zu kümmern, so dass man sich in einer realen, wechselseitigen Relation befindet – alle Risiken eingeschlossen.« (Placher 1998, 240)Das Zusammenleben von Menschen kann nur dort human gelingen, wo Menschen zu solcher hingebungsvollen Liebe bereit sind: »sein Leben wird den Lebenden gegeben, damit sie wider ihre eigene Gewalt leben lernen« (Sander 2001, 78). Mit der Inkarnation von der Krippe bis zum Kreuz führt Gott dies vor Augen. Ohne Hingabe bleiben verwundete Menschen unbarmherzig sich selbst überlassen, und es entsteht eine gnadenlose Gesellschaft. Jesu Weg von der Krippe zum Kreuz widerspricht dieser Gnadenlosigkeit, indem sie die Lebensmacht der Hingabe ins Spiel bringt. Jesus ist Opfer von Gewalt, ein Victim – aber mit
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