Weihnachten - Das Wagnis der Verwundbarkeit
seinem Sacrifice widersteht er solcher Gewalt zugleich, indem er Gewaltlosigkeit praktiziert. Er zückt nicht selbst das Schwert und ruft seine Jüngerinnen und Jünger auch nicht zur Rache auf. Vielmehr beauftragt er sie beim letzten Abendmahl, Brot zu brechen und Wein zu teilen: »Tut dies zu meinem Gedächtnis.« (Lk 22,19)
An Weihnachten haben andere Menschen ihr Leben riskiert, um dem neugeborenen Jesus Leben zu eröffnen. Am Ende seines Lebens zeigt Jesus in besonders drastischer Form, dass er hierzu ebenfalls bereit ist. Im Kreuz ereignet sich das Gegenteil der Herodes-Strategie, die die Verwundung Anderer als Selbstschutz einsetzt. Jesus verwundet nicht Andere, sondern er lässt sich verwunden bis in den Tod. Er wechselt nicht die Seiten und verrät diejenigen nicht, die seine Hinwendung brauchen. Hier wird eine Alternative sichtbar zur Gewalt, die unterMenschen herrscht. Sie besteht in der Liebe, die zur Hingabe bereit ist und die eigene Verwundung nicht scheut. In diesem Gekreuzigten ist Gott selbst Mensch geworden.
Auferstehung als Lebenskunst – Maria Magdalena
In der Folter wird Jesus aufs Äußerste gewaltsam verletzt und am Kreuz dann sogar getötet. Mord und Totschlag, das ist die größte Verwundung, die einem Menschen angetan werden kann. Aber nicht nur Jesus wird verletzt, sondern all jene Menschen, die mit ihm verbunden sind und die ihn lieben. Jeder Tod betrifft Gemeinschaften, reißt Wunden auf und ruft auch bei Anderen Schmerzen hervor. Die Osterfigur, die diese Verwundung am eindrücklichsten vor Augen führt, ist Maria Magdalena. Von ihr erzählt das Johannes-Evangelium (Joh 20,11–18), das mit dieser Geschichte eine Glanzleistung narrativer Theologie vollbringt. Es ist eine der ergreifendsten Erzählungen, ohne die das Osterfest heute kaum mehr denkbar ist. Denn Maria Magdalena steht für die unzähligen Frauen, Männer und Kinder, die einen geliebten Menschen verloren haben und nun verzweifelt an deren Grab stehen und auf Heilung hoffen.
Die Auferstehung Jesu – eine Leerstelle der Bibel
Die Evangelien beschreiben Folterung, Kreuzigung und Tod Jesu ausführlich und anschaulich. Umso bemerkenswerter ist es, dass sie keinen Bericht über die Auferstehung liefern – weder aus der Perspektive von Zeuginnen und Zeugen, geschweige denn aus der Perspektive Jesu. Über die Auferstehung selbst schweigen sich alle Evangelien behutsam aus. Biblisch bildet die Auferstehung eine Leerstelle, die sich im leeren Grab verkörpert.
Selbst Matthäus, der am dichtesten an das Ereignis herangeht, erzählt lediglich vom Engel, der den Stein wegwälzt, damit die Frauen sehen können, dass das Grab leer ist (Mt 28,1–8). Auch er berichtet nicht, wie Jesus aufersteht. Was die Bibel jedoch ins Wort bringt, das sind Erscheinungen Jesu aus der Perspektive seiner Jüngerinnen und Jünger. Der Glaube entsteht über die Wirkmacht der Auferstehung im Leben derer, die sie erfahren und hierüber berichten.
Die abgrundtiefe Verwundung Marias wird verständlich, wenn man sich anschaut, wer für sie gestorben ist. Vor der Kreuzigung war Maria eine Gefährtin Jesu. Sie ist mit ihm durchs Land gezogen, hat ihm vertraut und hat all ihre Hoffnungen auf seine Botschaft vom Reich Gottes gesetzt. Als Jesus gekreuzigt wird, weicht sie diesem Ereignis nicht aus. Vielmehr setzt sie sich dieser gnadenlosen Verwundung Jesu aus und wird damit zugleich selbst verwundet. Einen geliebten Menschen so leiden zu sehen ist schmerzlich, und der Schmerz gräbt sich tief in Leib und Seele ein. Maria Magdalena ist am Boden zerstört, als sie mit ansehen muss, unter welch unerträglichen Qualen Jesus am Kreuz endet (Joh 19,25). Mit seinem Tod erfährt auch ihr Leben eine abgrundtiefe Verwundung. Sie verliert einen Menschen, den sie liebt. In diesem Verlust zeigt der Tod seine ansteckende Wirkung. Nicht nur sein Leben ist zu Ende, sondern auch ihres ist bedroht. Denn mit ihm werden ihre Hoffnungengekreuzigt, ihre Liebe wird verwundet, ihr Glaube an das Reich Gottes zerbricht. War Jesus früher lebendig und gegenwärtig bei ihr, so ist seine Präsenz als Toter nun bedrängend und geradezu lebensbedrohlich. Denn Jesus ist nicht einfach abwesend, sondern als Toter auf bedrängende Weise anwesend. Diese Präsenz des Abwesenden verwundet ihr Leben.
In ihrer Bedrängnis sucht Maria »frühmorgens, als es noch dunkel war«, den Ort auf, wo der Tote präsent ist. Sie geht an das Grab, das sein zerstörtes Leben birgt und wo ihre namenlose Trauer
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