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Weihnachten - Das Wagnis der Verwundbarkeit

Weihnachten - Das Wagnis der Verwundbarkeit

Titel: Weihnachten - Das Wagnis der Verwundbarkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hildegund Keul
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Auferstehung gelebt hat. So erzählt eine Überlieferung, dass sie zusammen mit anderen Frauen und Lazarus auf einem segellosen Schiff ausgesetzt wurde und in einem französischen Fischerdorf Saintes-Maries-de-la-Mer landete – das wegen der schwarzhäutigen Sarah, die die drei Marien begleitete, heute noch ein heiliger Ort der Sinti und Roma ist. Maria Magdalena sei missionarisch in der Provence tätig gewesen und wird dort über Jahrhunderte innig verehrt. Solche Erzählungen und Legenden machen eine pointierte Aussage, wie sie Maria Magdalena sehen: als Lebenskünstlerin aus der Geistkraft der Auferstehung. Die frühe Kirche hat ihr viel zugetraut bis hin zur Evangelisierung der Provence, eines fremden Landes jenseits des Mittelmeeres. Maria Magdalena ist die einzige Zeugin von Kreuzigung, Grablegung und Auferstehung Jesu. Sie hat mit ihrem Leben die Kraft der Auferstehung bezeugt. Das leere Grab und der weggerollte Stein werden mit ihr zum Symbol des Lebens. Sie verweisen auf die Auferstehung als Lebenskunst, die Maria Magdalena praktiziert.
    Mit Maria Magdalena und den weiteren Ostererzählungen schließt sich der theologische Kreis zu Weihnachten hin. Weihnachten thematisiert die Verwundbarkeit menschlichen Lebens. Mit der Auferstehung schreibt Gott dieser Verwundbarkeit neue Lebensperspektiven ein. Der Tod hat nicht das letzte Wort, denn das knechtende Kreuz wird zur Auferstehung gewendet. Damit tritt zugleich der humane Charakter jener Hingabe hervor, die Gott und Mensch im Dienst des Lebens wagen.
    Das Neue Testament erzählt die Geschichte Jesu chronologisch von seiner Geburt über die öffentliche Wirksamkeit bis zu Tod und Auferstehung. Der theologische Erkenntnisweg geht umgekehrt. Er setzt bei der Auferstehung an und begreift von ihr her, was an Weihnachten geschieht. Die Geburtsgeschichten werden von Kreuz und Auferstehung her erzählt. 23 So gründet der christliche Glaube an die Auferstehung auf dem Glauben an jene Geburt, in der Gott selbst Mensch wird. Die Geburtserzählungen sind daher kein naives, schmückendes Beiwerk. Ohne den Glauben an die Gottesgeburt ist der Osterglaube nicht denkbar. Und ohne die Auferstehung fällt die Inkarnation dem Tod anheim. Schon die Weihnachtsgeschichten sind Auferstehungsgeschichten. Und die Auferstehungsgeschichten sind Geburtsgeschichten, denn sie erzählen von der Erneuerung der Menschheit.
    Weihnachten – eine jüdisch-christliche Geschichte
    Die Debatten zwischen jüdischer und christlicher Theologie haben in den letzten Jahrzehnten zu neuen Einschätzungen in der Frage geführt, wann sich das Christentum eigentlich vom Judentum getrennt hat. Bewegt sich das Neue Testament noch ganz im jüdischen Kontext, und spiegelt selbst die Frage der Beschneidung (Apg 15,1–35) zunächst eine innerjüdische Debatte wider? Wann sich die Wege getrennt haben, wird derzeit sehr kontrovers diskutiert. 24
    Was dieser Paradigmenwechsel für die biblischen Weihnachtsgeschichten bedeutet, ist noch nicht ausgelotet. Aber es ist davon auszugehen, dass sie selbst keine Differenz zwischen Judentum und Christentum setzen. Sie gehen davon aus, dass Jesus der vom Judentum ersehnte jüdische Messias ist. Erst später, in einem schmerzlichen Prozess von wechselseitiger Abgrenzung und Ausschließung, wandeln sich die Weihnachtsgeschichten zur christlichen Gründungsgeschichte.

4. Verwundbarkeit wagen! Was Weihnachten heute zu sagen hat
    Die biblischen Weihnachtsgeschichten schlagen Themen an, die heute noch hoch aktuell und zugleich äußerst brisant sind. Darum geht es im folgenden Abschlusskapitel. Es richtet den Fokus auf die Bedeutung von Weihnachten in humanitären Fragen der Gegenwart. 25 Dazu ist es notwendig, einen Sprung zu wagen. Er führt von den bekannten Texten der Bibel mitten in die ungewissen Fragen der Gegenwart hinein. Die folgenden Gedanken muten daher den Leserinnen und Lesern einen Ortswechsel zu. Auch heute geht es um Herbergen und Herodes-Strategien, aber sie melden sich in anderen, heutigen Diskursen zu Wort.
    Wie gehen Menschen mit der Tatsache um, dass sie selbst, ihre Mitmenschen und Gemeinschaften wie auch die Schöpfung insgesamt verwundbar sind? Diese Frage steht mit dem Kind in der Krippe im Raum. Sie ist für die Gegenwart und für die Zukunft der Menschheit von großer Relevanz. Denn sie betrifft auch heute noch Einzelpersonen und Staaten, ökologische Projekte und politische Handlungsmuster, die Ethik sozialer Gruppen und wissenschaftlicher

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