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Weihnachten mit Mama

Weihnachten mit Mama

Titel: Weihnachten mit Mama Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Thanner
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Mama auftauchte. Sie hatte einen siebten Sinn dafür, dass sich jemand in ihrem Reich aufhielt – und als solches betrachtete sie die Küche, obwohl sie alles andere als ein Heimchen am Herd war –, und völlig egal, ob es Fürsorge, Nähebedürfnis, Kontrollwahn oder was auch immer war, das sie in die Küche trieb, sobald sie von dort Stuhlscharren oder Besteckgeklapper vernahm: Man konnte die Uhr danach stellen, dass es kaum mehr als zwei oder drei Minuten dauerte, dann tauchte sie in der Tür auf.
    An diesem Morgen vergingen immerhin sieben Minuten, dafür betrat sie ihr Reich zwar im Bademantel, aber schon mit einer anbetungswürdigen Frisur, mit der sie auch auf eine Opernpremiere hätte gehen können. Sie flötete munter: »Guten Morgen, mein Großer!« – Immerhin nicht Buberl, jedenfalls nicht so früh am Tag. »Hast du gut geschlafen in deinem Zimmer?« – In meinem Zimmer ? Leidet die Frau unter Realitätsverlust? Doch sie erwartete keine Antwort, sondern setzte sie voraus. Sodass ich auch nur stumm nickte und mich für die Aufgaben, die vor mir lagen, wappnete.
    »Was kann ich für dich tun, Mama? Ich meine … wie kann ich dir helfen?«
    »Aber nicht doch, Johannes, du musst dich doch um nichts kümmern. Du bist doch unser Gast!«
    Das war zu erwarten gewesen. Doch ich ließ mir nicht den Wind aus den Segeln nehmen, jedenfalls nicht so leicht, und versuchte, es nicht so klingen zu lassen, als sei ich vom Helfersyndrom befallen oder als traute ich der Generalin die entscheidende Schlacht nicht zu.
    »Das weiß ich, Mama«, sagte ich und tätschelte ihr beruhigend die Hand. »Du schaffst das schon, keine Frage. Aber schau mal, jetzt, wo ich schon hier bin, da will ich mich doch nicht langweilen. Soll ich den ganzen Tag durch die Theatiner- und die Maximilianstraße schlendern? Oder durch die Fünf Höfe?«
    Die Erwähnung dieser Luxusshoppingmeilen ließ bei Mama erwartungsgemäß und prompt die Alarmglocken schrillen.
    »Aber nicht doch. Da ruinierst du dich bloß. Wenn du unbedingt willst, kannst du ja für mich auf den Elisabethmarkt und in einige andere Geschäfte gehen, um noch ein paar kleine Dinge zu besorgen, die wir fürs Fest brauchen.«
    Ein paar kleine Dinge . Mir schwante einiges, das in Worte zu fassen ich mich noch nicht traute.
    »Ich mache dir einen kleinen Zettel. Einverstanden?«
    Ich nickte heftig.
    »Wunderbar. In ein paar Minuten bin ich damit fertig. Dann kannst du deinen kleinen Gang machen.«
    »Perfekt, Mama.« Die vermehrte Verwendung des Wortes »klein« war nicht dazu angetan, mich zu beruhigen. Ich kam mir bereits ganz klein vor. Sah mich im Geist schon als Zwerg mit roter Zipfelmütze, einem Körbchen und einem winzigen Zettel zwischen den Buden des Markts hin und her gehen und mich nach den Auslagen strecken.
    Dann rauschte Mama aus der Küche, und ich machte mir zwei Semmeln, goss mir eine weitere Tasse Kaffee ein und vertiefte mich in die Süddeutsche Zeitung und den Münchner Merkur , um zu erfahren, welche Katastrophen jenseits der Franz-Joseph-Straße noch passiert waren. Die Nachrichten, die ich las, waren weitaus beruhigender als alles, was sich an diesem Tag noch ereignen sollte.
    Als Papa die Küche betrat, war ihm anzusehen, dass auch er in der Nacht mit Schatten und Gespenstern gekämpft hatte. Mürrisch nickte er mir zu und verschanzte sich mit einer Tasse Kaffee hinter dem Feuilleton. Er las immer zuerst das Feuilleton, in welcher Zeitung auch immer, als gebe es nichts Wichtigeres und Weltbewegenderes als die Theaterpremieren vom Wochenende, die aktuelle literarische Debatte oder die vernichtenden Rezensionen zu einem Romanautor, der sich mit seinem letzten Werk im Sinkflug direkt in die Niederungen dräuender Erfolglosigkeit begeben hatte. Und immer waren dann von dem klugen Kopf hinter dem Blatt Ausrufe zu hören, die man natürlich nicht einordnen konnte, da man nicht wusste, was der kluge Kopf gerade las: »Unglaublich!«, »Unfassbar!«, »Das darf ja wohl nicht wahr sein!« oder »Entsetzlich!«
    Ich muss jedoch an dieser Stelle zugeben, dass ich diese Angewohnheit meines Vaters übernommen hatte, worauf mich kürzlich erst Julie beim Frühstück hingewiesen hatte, als sie just diese Ausdrücke imitierte, die ich wohl während der Lektüre von mir gegeben hatte. Allerdings fange ich nicht mit dem Feuilleton an, sondern arbeite mich brav von der Seite eins durch das Blatt, wobei ich Sport, Wirtschaft und den Lokalteil geflissentlich ungelesen

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