Weihnachten mit Mama
betucht ist, kann sich auf diesem Viktualienmarkt en miniature bestens eindecken. Bio ist sowieso fast alles hier.
Ja, auch ich würde einiges auf dem Elisabethmarkt bekommen. Für anderes aber müsste ich auch in einen gut sortierten Supermarkt, ja, sogar zu Dallmayr.
»2 große Truthähne.« Mir war völlig klar, warum es dieses Viech sein musste und nicht etwas anderes, sagen wir: Weihnachtlicheres. Der Truthahn gehört traditionell zum amerikanischen Thanksgiving, und es war einem von Mamas Lieblingsfilmen – Hannah und ihre Schwestern von Woody Allen – zu verdanken, dass sich die Bilder verschiedener, immer mit Turkey beglückter Familienfeiern, die in diesem Film zelebriert wurden, in ihrer Vorstellung von einer großen, glücklich miteinander feiernden Familie festgesetzt hatten. Wie oft hatte sie mir von diesem Film vorgeschwärmt. Und nie vergessen, den Truthahn zu erwähnen, der goldbraun und knusprig aus dem Ofen gezogen und auf den Tisch gestellt wurde wie das Goldene Kalb, das alle anbeten sollten. Es war ein Ritual, nichts weniger, und wie alle Rituale, selbst wenn sie einen gar nicht betrafen, entfaltete es seine archaische
Kraft.
»2 große Truthähne.« O mein Gott! Wo soll ich die jetzt noch herbekommen? So was muss man tage-, ja wochenlang vorbestellen. Ich sah mich im Geiste schon wie ein Torpedo über die Märkte flitzen, überall nur belustigte Blicke und bedauerndes Schulterzucken ernten. »Haben Sie vorbestellt? Nein? Oh, dann tut es uns leid.«
»2 große Truthähne.« Hatte Mama auch nur annähernd eine Vorstellung, wie groß diese Flatterfreunde waren, wie viel Fleisch das war? Davon konnten sich die vierzehn Gäste ihres Festes tagelang ernähren, so viel stand mal fest. Wie auch immer, ich wusste, Mama würde in Panik verfallen, wenn ich ihr statt mit den gewünschten mit – sagen wir – realistischeren Mengen unter die Augen trat. »Aber, Buberl, das reicht doch nie und nimmer!« Immerhin, das Bratrohr ihres gewaltigen Oranier-Ofens würde diese beiden Turkeys auf dem Blech schon in knusprige Form bringen.
Also, Johannes , sagte ich mir – es ist nicht dein Problem. Kauf sie ihr, die beiden Flatterkerle, sie wird schon sehen, was davon übrig bleibt.
Ich verbrachte Stunden, den ganzen Vor- und halben Nachmittag mit Einkäufen und Besorgungen. Die Truthähne erwiesen sich erwartungsgemäß als eine Herausforderung ganz besonderer Art. Natürlich waren sie im gewünschten XXL -Format nirgendwo mehr vorrätig, und ich wollte mir nicht bei verschiedenen Händlern verschiedene kleine Exemplare »zusammenkaufen«. Der Elisabethmarkt meldete wie erwartet Fehlanzeige und rief mir fröhlich-weihnachtlich entgegen: »Ausverkauft!« Bei Dallmayr gab es Geflügel zu Preisen, die meinen geschwächten und wenig resistenten Körper mit heftigsten Schüttelfrösten überzogen. Also dorthin, wo das kulinarische Herz Münchens schlägt – zum Viktualienmarkt! Da gab es noch Fleisch und Geflügel, als fielen Weihnachten und Ostern auf einen Tag. Auch hier war fast alles vorbestellt, aber an einem der Stände holte mir der Händler zwei kolossale tiefgefrorene Truthähne aus dem Kühlraum und händigte sie mir aus, als seien sie seine eiserne Reserve und als sei ich sein bester, sein letzter Freund. Ich kutschierte sie standesgemäß mit dem Taxi nach Hause.
Der Supermarkt. Die Weinhandlung. Das Spezialgeschäft für dieses. Das Spezialgeschäft für jenes. Wie eine Billardkugel rollte ich kreuz und quer über den Münchner Einkaufsparcours, hierhin und dorthin. Immer wieder wurden die Taschen so schwer, dass ich sie zwischenzeitlich nach Hause bringen und leeren musste. Ich nahm sogar den blauen Rollwagen, mit dem mein Vater rentnermäßig seine Einkäufe zu erledigen pflegte, und zog und schob nun die Fracht durch die weihnachtlich umtriebige Residenzstadt, hin und her, her und hin.
Und meine Mutter brachte es zwischendurch fertig, mir bei einem dieser Zwischenstopps zuzurufen: »Meine Güte, wo soll denn das alles hin?!«
Ja, heiliges Glöckchen, das fragte ich mich auch. Aber das überlegt man sich wohl vorher.
Ich schaffte heran, als sei ich der Cellerar eines der großen Klöster Oberbayerns. Oder der Caterer einer Sause in einer in dieser Bussi-Bussi-Stadt angesagten Event-Location. War frischer Rosmarin hier nicht zu bekommen, ging ich woanders hin. Und wenn ich ihn dort nicht fand, dann eben noch mal woanders. Der Stapel Karteikarten schmolz, wenn auch in kaum wahrnehmbarer
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