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Weihnachten mit Mama

Weihnachten mit Mama

Titel: Weihnachten mit Mama Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Thanner
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er in einer riesigen Kasserolle, jedoch schon in Stücken auf den Tisch.
    Ich muss gestehen, dass ich eine gewisse Restskepsis nicht unterdrücken konnte. Waren Engländer überhaupt in der Lage, genießbares Fleisch auf die Tafel zu bringen? Etwas, das nicht zerkocht und restlos geschmacksfrei gegart worden war? Schließlich ist der Festtags-Truthahn ein Geschöpf unserer amerikanischen Verbündeten, keine kulinarische Errungenschaft des Empire . Doch ich muss zugeben, in Anbetracht des überstandenen Desasters im heimischen Backrohr waren die Ersatz- Turkeys , die Francis aus den Beständen des Perfect Service herbeigeschafft und aufgewärmt hatte, gar nicht mal schlecht. Das Fleisch war butterweich, zerging, wie man so schön sagt, auf der Zunge, und schmeckte angenehm bratig. Kein schlaffer, blasser Thommie, sondern ein durchaus aromatischer Vertreter seiner Zunft.
    »Hm … hm …«, machte Mama in regelmäßigen Abständen. »Köstlich, nicht wahr?«
    Beifälliges Nicken, Grunzen, Brummen, Seufzen.
    »Hm … hm …«
    » Yummie, yummie «, sagte Dorle respektlos und schob ihrem Max ein Stück nach dem anderen in den Mund. Ich fand’s ziemlich erotisch, muss ich sagen, wie sie ihn so fütterte, und fühlte mich ermutigt, es ihr gleichzutun. Julie starrte erstaunt auf die Gabel mit dem besonders saftigen Stück, die ich vor ihren Mund führte, verdrehte gespielt-entnervt die Augen, nahm brav den Happen, den ich ihr darbot, und schmatzte übertrieben.
    »Göttlisch, mon p’tit chou «, sagte sie mit ihrem süßen Akzent, der manchmal auch nur gespielt war, schließlich sprach sie Deutsch ziemlich akzentfrei und beherrschte – wenn sie wollte – durchaus auch das teutonisch-rachenfreundliche ch .
    Völlig aus dem kulinarischen Häuschen gebärdete sich Karin. »Also, das ist … das ist … hinreißend. Du musst mir das Rezept geben, Betty.«
    »Sicherlich hat sie’s aus der Brigitte. ›Das große Weihnachtsmenü‹«, kam es von links.
    »Ach, Charlotte, jetzt halt mal die Luft an. Diese Gans ist vorzüglich.«
    »Es ist Truthahn, Mutter.«
    »Wie auch immer. Hör nicht auf sie, Betty. Schmeckt ganz wunderbar!«
    Mama blickte ihre Mutter dankbar an. Vermutlich hatte sie bereits vergessen oder verdrängt, dass der Truthahn nicht ihrem Backrohr entsprungen war, sondern dem des Perfect Service . Wie sollte sie das Lob ihrer Mutter auch anders als auf ihre Kochkünste beziehen?
    »Es ist tooolll, Mami«, rief Laura. »Wirklich tooolll!«, sagte auch Dorle. Max sagte nichts, er kaute nur, nickte und verdrehte begeistert die Augen. Liebe geht durch den Magen, das bewahrheitete sich hier wieder einmal aufs Vortrefflichste.
    »Mir ist schlecht«, jammerte Jules. Oder Jim.
    Doch nicht einmal Tina schenkte dem Jammern ihres Sprösslings Beachtung.
    »Geh und spiel etwas mit Bruno«, sagte sie nur. Und Jules – oder Jim – stürzte sich vor Freude strahlend, der Familienhaft zu entkommen, aus dem Salon.
    Ein schlimmer Fehler.
    Das Monster geriet außer Rand und Band.

18
    Das ist doch wirklich albern!
    R asch hatte Jules – oder Jim – jedoch die Lust am Tier verloren und war wieder zu seinem Gameboy in den Salon zurückgekehrt. Aus dem hinteren Teil der Wohnung drang jedoch bald darauf erst ein langgezogenes Jaulen, dann ein Poltern, wie es nur eine ganze Batterie zu Boden fallender Gegenstände zustande bringt. Es war gerade eine Gesprächspause eingetreten und entsprechend still am Tisch, sodass die Geräusche umso bedrohlicher klangen. Mama schaute Papa an, Robert schaute Tina an, ich schaute Julie an. Unisono riefen wir, wie aus einem Mund: »Bruno!«
    Und es waren diese sechs Personen, die mit einem choreographisch abgestimmten Ruck aufsprangen und durch die Wohnung liefen, als gelte es, einen Geschwindigkeitsrekord aufzustellen. »Erster!«, hätte Robert rufen können, der die Tür zu dem Zimmer aufriss, hinter dem Bruno jaulte. Und als ich sah, welche Klinke mein Bruder herunterdrückte, war mir klar, dass Mama einen Fehler gemacht hatte, als sie Bruno rasch und ohne nachzudenken in ihr Boudoir eingesperrt hatte.
    Brunos Zerstörungslust wurde von jedem in der Familie gefürchtet. Diesen Abend lieferte der hippelige Köter sein Bravourstück ab. Das über alle Maßen nervöse Tier hatte mit seinem durch nichts zu bändigenden Bewegungsdrang eine Tour de force durch Mamas Refugium unternommen, die buchstäblich keinen der Gegenstände in diesem Zimmer an seinem ursprünglichen Platz gelassen hatte. Das sah

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