Weihnachten mit Mama
Bruno war über den Schminktisch gezogen wie Attila, der Hunnenkönig, durch die Tiefebenen Pannoniens und des Weströmischen Reiches. Tiegel und Töpfchen, Flakons und Fläschchen, Haarbürsten und all die unendlich vielen Utensilien weiblicher Eitelkeit und Pflege befanden sich auf dem Fußboden verteilt. Mamas Bademantel aus Seide war in besonders beklagenswertem Zustand – er sah aus, als hätte Bruno ihn jahrzehntelang zum Hundefasching angezogen; nun konnte das edle Stück Stoff nur mehr als Putzlappen Verwendung finden. Wenn überhaupt.
» Oh, mein Gott!« , sagte ich wieder. Robert warf mir einen Blick zu, den man nicht anders als panisch bezeichnen konnte. Er seufzte tief, schüttelte bestürzt den Kopf.
»Wie soll ich das jemals wieder hinkriegen? Mama wird mir den Kopf abreißen!«
»Nicht nur den Kopf, befürchte ich.«
Diese apokalyptische Vision brachte ihn auf den Boden der Tatkraft zurück. Er riss sich sichtlich zusammen. Reckte unternehmungslustig das Kinn.
»Was soll’s«, sagte er. »Gehen wir ans Werk.«
»Wir?«
»Na, du willst mich doch damit nicht im Stich lassen, oder? Das schaffe ich nie und nimmer alleine«, barmte er.
Auch ich seufzte nun tief und schüttelte den Kopf. Es bedarf wohl keiner besonderen Erwähnung, dass sich hier ein Kindheitsmuster wiederholte: Robert stellte etwas an, und ich renkte es wieder ein. So war es immer, so würde es immer sein. Allerdings musste ich ihm zugutehalten, dass nicht er selbst, sondern sein hyperaktiver ADHS -Köter der Übeltäter gewesen war. Ein Hund ist Krieg, das steht mal fest.
Resigniert hob ich die Schultern und ließ sie wieder sinken. Es war zwecklos … zumindest heute Abend. Wir konnten nun wirklich nicht die nächsten beiden Stunden des Weihnachtsabends damit zubringen, hier klar Schiff zu machen und alles zumindest wieder so herzurichten, dass Mutter nicht der Schlag traf, sollte sie ihr Boudoir jemals wieder betreten. Von den Spuren der Zerstörung ganz zu schweigen. Sogar an den rosigen Marie-Antoinette-Stofftapeten befanden sich Kratzspuren.
»Robert«, befand ich, »das hat alles keinen Sinn. Nicht mehr heute Abend. Wir können uns nicht so lange von der Festgesellschaft abseilen.« Ich wies mit einer Kopfbewegung Richtung Salon. »Wir müssen da wieder rein.«
»Ach, komm, so schlimm ist es nicht«, versuchte Robert sich Mut zuzusprechen. »Wir legen und stellen alles, was auf dem Boden ist, wieder auf diesen Tisch hier. Und rücken die Möbel so, dass man die Kratzer nicht mehr sieht. Und diesen Fetzen hier«, er hielt Mamas Seidenmantel hoch, »versenken wir diskret.« Er lächelte mich verschwörerisch an.
So ist er immer. Es ist stets alles halb so schlimm. Man kriegt das schon wieder hin. Reg dich ab. Chill mal, Bruder!
Als er meine skeptische Miene sah, schob er mich kurzerhand Richtung Tür: »Ich hab noch eine bessere Idee: Du gehst jetzt wieder da rein, entspannst die Lage und hältst mir hier den Rücken frei. Ich schaffe das schon … zumindest so weit, dass Mama nicht in Ohnmacht fällt, wenn sie ihr Zimmer wieder betritt.«
Er warf mir einen aufmunternden Blick zu. Krempelte symbolisch die Ärmel auf. »Na, los, Bruderherz … in spätestens einer halben Stunde bin ich wieder bei euch.«
Aus dem Gästezimmer ganz in der Nähe hörten wir Jaulen. Bruno leistete Trauerarbeit.
Alle Augen richteten sich auf mich, als ich die Tür zum Salon öffnete. Ich spielte die Rolle des Arglosen, die ich perfekt beherrsche. Ich setzte mich wieder an meinen Platz, Julie ergriff meine Hand und drückte sie. »Alles halb so wild«, gab ich Entwarnung in die Runde, eine Spur zu laut, eine Spur zu sorglos. Doch der Trick verfing: Kollektive Entspannung setzte ein, sogar meine Mutter verlor ihre verkrampfte Haltung. »Der Hund war ein bisschen zu munter, aber Robert hat’s im Griff. Ein paar Handgriffe, und alle Dinge stehen wieder an ihrem ursprünglichen Platz. Es ist Brunos persönliches Geburtstagsgeschenk an dich, Mama: Du wirst nicht renovieren müssen!«
Meine Mutter lächelte etwas gequält, unsicher, ob sie mir Glauben schenken sollte. Schließlich fand sie sich damit ab, klatschte sogar einmal kurz in die Hände und rief munter: »Na, fein!«
Damit war die Affäre Bruno fürs Erste ausgestanden. Und Robert hatte Zeit gewonnen. Nicht viel allerdings, in längstens einer halben Stunde würde Mama nach dem Rechten sehen. Alle wandten sich wieder ihren Gesprächen und Getränken zu. Papa allerdings kniff die Augen
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