Weihnachten mit Mama
dummes Huhn. Ich bin nur beinahe vom Stuhl gefallen.«
Oma grinste. Ihr machte das alles diebischen Spaß. »Das sind wir ja wohl alle schon mal. Allerdings …«, sie kicherte, »wohl nicht mit so wenig Promille im Blut.«
»Mach dich nicht über mich lustig, Mutter«, sagte die Abstinenzlerin Charlotte scharf, die sich den ganzen Abend – abgesehen von einigen Schlückchen Champagner – nur Mineralwasser zugeführt hatte.
»Großmama versucht bloß, euren Streit zu schlichten«, warf Robert ein.
»Halt du dich da raus. Das geht dich nichts an«, giftete Charlotte.
Robert hob beschwichtigend die Hände.
»Nun stellt euch doch nicht so an«, sagte Mama.
»Das ist eine Sache zwischen Karin und mir«, befand Charlotte kühl, als ginge es um ein Duell um fünf Uhr morgens vor den Toren der Stadt.
»Ich entschuldige mich … Ich entschuldige mich …«, wimmerte Karin, als erwartete sie sekündlich einen handgreiflichen Gegenangriff.
»Man kann sich nicht so einfach entschuldigen«, sagte Charlotte hochnäsig.
»Wieso … was meine Frau … was Karin getan ist, ist doch nicht unentschuldbar.« Bernhard gab den Empörten.
»Du Mann von Welt solltest wissen, dass man wohl um Entschuldigung bitten kann, dass diese Entschuldigung aber auch gewährt werden muss. Sonst ist eben nichts entschuldigt.«
»Meine Güte!« Ich sah, wie meinem Vater allmählich der Kragen platzte. Mit angespannter Liebenswürdigkeit wandte er sich an seine Schwägerin, die längst wieder kerzengrade auf ihrem Stuhl saß: »Charlotte … Liebes … bitte sei doch so freundlich und akzeptiere die Entschuldigung deiner Schwester.«
Die Angesprochene blickte ihn an. Und ich meinte zu sehen, dass der harte Blick meiner Tante einen Riss bekam. Einen winzigen Riss, möglicherweise nahm nur ich ihn wahr, aber er war unverkennbar.
Sie holte tief Atem.
Sie verschränkte die Arme.
Sie blickte ihre Mutter an und schniefte einmal, zweimal. Dann Papa, der ihr aufmunternd zunickte. Dann Karin, die verschämt die Augen niederschlug.
»Na schön. Um des lieben Friedens willen. Es ist ein so schöner Abend heute, den will ja niemand verderben. Ich am allerwenigsten …«
Immer wieder erstaunlich, was meine Familie unter einem schönen Abend versteht.
21
Da führt kein Weg dran vorbei
W ährend Bernhard seine Frau ins Badezimmer begleitete, wo der Fleck auf dem Kleid entfernt werden sollte, beruhigte sich die Festgesellschaft wieder.
Die ganze Festgesellschaft?
O nein!
»Ist denn jetzt Bescherung?«, schrie es von links.
»Ja, Bescherung! Geschenke!«, sekundierte es von rechts.
Die Zwillinge! Sie wurden allmählich unruhig, wie alle Kinder, denen man das Wichtigste des Abends vorenthält. Fahrlässig, wie sie wohl fanden. Hatten sie nicht einen Anspruch auf zügig ausgeteilte Weihnachtsgeschenke? War das nicht überhaupt Anlass und Grund, dass sie mitgekommen waren? Und so lange stillgehalten hatten?
Doch Mama schüttelte energisch den Kopf.
»Ach, Oma … bitte, bitte, bitte!«
»Nein, ihr lieben Kleinen. Erst machen wir ein schönes Foto von uns allen hier. Nachher ist alles durcheinander, dann klappt das nicht mehr.«
»Oh, nein, Oma … kein Foto!«, maulte Jules. Oder Jim.
»Nein, nein … kein Foto!«, sagte Jim. Oder Jules.
»Mutter, muss das denn jetzt sein?«, fragte Robert, der um die ziemlich begrenzte und sehr erschöpfbare Geduld seiner Söhne wusste.
»Ja, das muss sein. Ich möchte ein paar schöne Bilder als Andenken an diese wunderbare Feier. Das ist doch wohl nicht zu viel verlangt!«
Robert nickte resigniert. Die Zwillinge realisierten sofort, dass sie ihren Verbündeten verloren hatten, dass er sozusagen von der Fahne gegangen war.
»Papa! Papa!«, schrien sie aufgeregt. »Kein Foto! Kein Foto!«
»Kinder«, sagte der Erzeuger dieser reizenden Brut. »Heute ist doch Omas großer Geburtstag. Da müssen wir ihr schon mal einen Wunsch erfüllen.«
»Bescherung! Bescherung!«, skandierten die Zwillinge.
»Aber …«
»Man wird doch wohl noch …«
»Es gibt ja wohl noch anderes …«
»Herrje, das ist doch …«
»Lasst doch die Kleinen …«
Nun redeten alle durcheinander. Wer was sagte, konnte niemand auseinanderhalten. Durchdringend waren nur die Zwillinge.
»Geschenke! Geschenke!«
Doch sie kannten ihre Großmutter nicht. Mit der Penetranz ihrer Enkel nahm sie es allemal auf. Mit deren Durchsetzungsfähigkeit konnte sie jederzeit mithalten. Es spornte sie sogar noch an. Sie winkte aufgeregt und
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