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Weihnachten mit Mama

Weihnachten mit Mama

Titel: Weihnachten mit Mama Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Thanner
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zu hindern, indem ich ihr eine Hand auf den Mund legte. Die sie aber souverän wegstieß.
    »Und isch? Isch muss in Deutschland leben! Isch bin verheiratet mit diese komische Verleger, der macht mit Elfen rum. Könnt ihr euch vorstellen, wie demütigend das ist?«
    »Immerhin verdient er mit den Elfen eine Menge Geld«, wandte Charlotte spitz ein. »Oder etwa nicht?«
    »Aber doch nicht genug für meine verwöhnte Ansprüch!« Julie kicherte, was ihr einen tadelnd-empörten Blick meiner Tante eintrug, die sich einmal mehr auf den Arm genommen fühlte.
    Oma Annerose, die sich bislang zurückgehalten und das allseitige Auftrumpfen amüsiert verfolgt hatte, beschloss, den vorläufigen Höhepunkt unter diese surrealen Bekenntnisse zu setzen. Indem sie – wohl anspielend auf ihre Erinnerungen an Krieg und Nachkriegszeit – von stolzer Bekümmernis erfüllt sagte: »Also wir … wir hatten ja früher gar nichts !«
    »Ach, Oma«, sagte Dorle amüsiert. »Dafür hast du dich aber ganz gut gehalten.«
    »Nein, nein«, sagte Annerose und ließ sich nicht aus dem Konzept bringen. »Wir hatten nichts. Gar nichts. Nur das, was wir auf dem Leib trugen.«
    »Du meinst Muckefuck statt Bohnenkaffee und Margarine statt guter Butter?«, fragte Karin entsetzt.
    »Nicht mal Muckefuck. Nicht mal Margarine. Wir belegten unser Brot mit Daumen und Zeigefinger.«
    Ihrer ältesten Tochter entging die Ironie dieser Bemerkung völlig. Charlotte nahm sie für bare Münze. Und sie konnte es nun mal nicht auf sich sitzen lassen, dass irgendjemand in diesem Raum, in diesem Universum es im Leben schwerer gehabt hatte als sie.
    »Ich kann mich sehr gut an Bohnenkaffee und gute Butter bei uns erinnern, Mutter. Und an deine entsetzliche Buttercremetorte, die du uns noch in den Sechzigerjahren aufgetischt hast, bevor die ersten Backmischungen in den Handel kamen.«
    »Ich rede von der Zeit vor deiner Zeit, mein liebes, gutes Kind.« Oma tätschelte ihrer empörungsbereiten Tochter begütigend die Hand. »Ende 1943. Da hatten wir nichts. Wir waren ausgebombt, wir mussten zu Buchingers aufs Land flüchten. Wir kamen in einem Stall unter!«
    »Das passt ja«, krähte Bernhard vergnügt und schlug sich auf die Schenkel. »Ist schließlich Weihnachten heute!«
    Karin warf ihm einen strengen Blick zu, was ihn nicht davon abhielt, den Gedanken fortzuspinnen.
    »Und in diesem Stall kam unsere Charlotte zur Welt.«
    »In einem Stall! Dass ich nicht lache!« Charlotte schoss sich auf ihre Mutter ein. »Ich hab ja nun Fotos von diesem sogenannten Stall gesehen. Es war ein Anbau an Buchingers Hof.«
    »Aber er war früher einmal ein Stall. Bevor wir kamen. Ich hab den Geruch nach Mist jahrelang nicht aus der Nase bekommen. Ich kann ihn heute noch riechen. Wie dieser Dichter seine Madeleines …«
    »Das war Marcel Proust, Mutter«, warf Bernhard ein, besserwisserisch wie immer.
    »Marcel wer?« Oma gab vor, schwerhörig zu sein, was sie natürlich nicht die Spur war. Sie formte mit der Hand sogar ein imaginäres Hörrohr.
    »Marcel Proust. Auf der Suche nach der verlorenen Zeit .«
    »Auf dieser Suche bin ich auch …« Mutter seufzte verträumt und mit romantisch umflorter Stimme.
    »Ach, du.« Charlotte machte eine wegwerfende Handbewegung. » Du hast doch deine Zeit nicht verloren. Du hast sie bestens genutzt. Immer. Was für eine Zeit willst du denn verloren haben?«
    »Wieso? Mir ging es doch nicht immer nur gut. Ich hatte auch mein Päckchen zu tragen. Vier Kinder, das musst du mir erst mal nachmachen. Na ja«, sie schaute ihre Schwester abschätzig an, »dieser Zug ist ja wohl abgefahren.«
    »Es fährt ein Zug nach Nirgendwo«, trällerte Bernhard und wurde augenblicklich mit einem Puff in seine Seite bestraft. Karins Blick wurde noch eine Spur missbilligender.
    »Nun gib bloß nicht mit deiner missratenen Brut an«, giftete Charlotte. »Das sind auch keine Wunderkinder, alle vier nicht. Die haben auch ihre Macken und Fehler. Aber das siehst du ja nicht, verblendet wie du bist.«
    »Nein«, gab Mama zurück, »nur du bist von unfehlbarem Charakter und makelloser Schönheit. An dir ist die Zeit spurlos vorüber gezogen.«
    »Kinder, Kinder«, fuhr Papa dazwischen. »Wie können sich nur zwei so hübsche Damen so hässlich streiten. Wollt ihr euch nicht wieder vertragen, an diesem wunderbaren Abend? Kommt … gebt euch die Hand!«
    Diese lächerliche kleine Reminiszenz an Sandkasten und Kindergarten ließ die Verhaltensmuster der beiden Schwestern einrasten

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