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Weihnachtsgeschichten am Kamin 02

Weihnachtsgeschichten am Kamin 02

Titel: Weihnachtsgeschichten am Kamin 02 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Richter , Stubel,Wolf-Dieter
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paßte durch keine Straßenbahntür. Weit ausladende Zweige. Kurz entschlossen nahmen wir Hosen- und Mantelgürtel ab, bändigten ihn halbwegs, da war die Bahn, wir hetzten hinüber, die einzigen Fahrgäste. Nur wir, mit harzig verklebten, zerstochenen Händen und der Baum, unerwartetes Weihnachtsgeschenk. Unsere Aufgeräumtheit übertrug sich auf den Fahrer, der große Baum mußte für seine erste Straßenbahnfahrt nicht zahlen. Dann schöne Weihnachten!
    Wie gut, daß wir nicht einen dieser Neubauten mit den niedrigen Zimmerdecken bewohnten. Es fanden sich Kerzen und rote Bänder, mit denen wir die Wunden unseres Baumes verbanden. Er richtete sich gerade auf unter unseren Händen, erfüllte das Zimmer mit seinem würzigen Duft, seinen warmen Farben.
    Weihnachten wurde lebendiger, durch ihn, ich hatte seine Geste verstanden, sich uns vor die Füße zu werfen, seine Aufforderung, eine schöne alte Tradition fortzusetzen und nicht ausschließlich in den Tag hinein zu leben.
    Nie wieder vergaßen wir, einen Weihnachtsbaum zu kaufen. Es sind viele schöne darunter gewesen. Aber jener eine, dieser unverhofft uns , verletzte war der Schönste, der Unvergessene. Das Zeichen, sich in der Hektik des Alltags auf die alten Bräuche zu besinnen. Für uns ist er ein liebgewordenes Weihnachtssymbol — bis heute!

    Rüdiger Conrad

Hühner und Marzipan

    Es war im Jahr 1954. Als Flüchtlinge waren wir wohl aus dem Hungerstadium heraus, aber durch den in der damaligen Zeit nicht unbedingt benötigten Beruf meines Vaters, eines selbständigen Fotografenmeisters, mußte immer noch an allen Ecken und Kanten gespart werden, kurzum — Weihnachtsgeschenke waren nicht drin.
    Aber irgend etwas sollte es doch sein, und meine Mutter hatte immer gesagt: «Zu essen muß genug da sein», also kamen wir vier, ich habe noch eine ältere Schwester, auf die Idee, uns etwas schönes Eßbares zu schenken.
    Da mein Vater auch auf dem Land tätig war — er fotografierte die Bauernhochzeiten bot ihm kurz vor Weihnachten ein Bauer billig ausgediente Legehennen an. Dieses Angebot nahm mein Vater voll Freude sofort an, eine wunderbare Weihnachtsüberraschung, denn Geflügelmahlzeiten waren uns Kindern damals noch eine seltene Spezialität.
    Heimlich, unter größtem Ehrenwort zu schweigen, erzählte er Mutter von seinem tollen Kauf.
    Da ich mit 13 Jahren im sogenannten Freßalter war und wir alle viel nachzuholen hatten, beschlossen meine Eltern, zwei Hühner zu kaufen. Fünf und sieben Pfund wogen sie; ich nahm sie auch einmal in den Arm, «wie kleine Babies», sagte ich. Überglücklich bestellte mein Vater auch gleich noch für zwei Freunde Hühner, nachdem er ihnen von diesem einmaligen Angebot berichtet hatte, und suchte zwei Riesenhennen aus.
    Einige Tage vor Weihnachten erfuhr mein Vater, daß sein Freund sein bestelltes Huhn nicht mehr abnehmen wollte. Da Oma und Tante Irmi zu Besuch kommen wollten, hatte mein Vater kurzerhand sein Huhn gekauft, sieben Pfund wog es. Am 23. Dezember kam er dann, zum Schrecken meiner Mutter, mit noch einem im Arm an — der Hausmeister einer Schule, dem er ein Huhn versprochen hatte, wollte plötzlich nicht mehr, und so hatten wir das vierte Tier mit neun Pfund, insgesamt also ein Weihnachtsessen von 28 Pfund Huhn.
    Meine Mutter wollte gleich zwei Hühner ins Kalte legen, aber einen Gefrierschrank hatten wir noch nicht, also mußten alle Hühner zubereitet werden, und ich hatte auch soviel Hunger. Den Kochgeruch der Zubereitung werde ich mein Leben lang nicht vergessen. Meine Mutter stand bereits ab sieben Uhr am Zwei-Ringe-Herd, und ich war der Heizer beim Nachschieben der Holzstücke.
    Dann endlich saßen wir am Mittagstisch, und meine Mutter kam mit dem größten Tier, das sich weit über den Teller erstreckte. Sie ging aber noch mal, und ich bekam das mittelgroße Huhn ganz für mich allein. Es war ein unbeschreibliches Gelage. Erstmalig mußten wir uns im Kartoffelessen einschränken, völlig ungewohnt für uns, denn sonst hätten wir doch kaum etwas von diesen Riesen geschafft. Weitere Einzelheiten dieser Orgie will ich nicht erwähnen, jedoch haben wir uns nach dieser Mahlzeit bis zum Abend der Bescherung kaum vom Platz bewegt, und der Höhepunkt sollte erst noch kommen!
    Der Heiligabend verläuft bei uns immer nach dem Prinzip: Singen, Lesen, Bescherung — und so geschah es auch diesmal. Endlich war es soweit. Ich durfte schenken, was mir viel mehr Spaß machte, als

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