Weihnachtsglanz und Liebeszauber
du, Rese, solltest endlich kapieren, dass nicht jeder Junge automatisch auf dich abfährt.«
»Aber genau das tun die Jungs doch, Ma«, entgegnete Rese mit unschuldigem Augenaufschlag. »Jeder fährt auf mich ab. Ich kann gar nichts dagegen tun. Es ist einfach so.«
»Wenn du dich da mal nicht täuschst«, fauchte ich wie Sepi, unsere Katze.
»Müsst ihr euch denn immer wegen der Jungs streiten?«, schimpfte Nick. »Ist doch ätzend. Und überhaupt – du hast deinen Giselbert, Rese, deshalb kann Ally den Jan haben. Ist doch nur fair, oder?«
»Wer sagt, dass ich ihn will?«, schimpfte ich. »Rese kann ihn gern haben. Mit Handkuss sogar!«
»Kleiner, was verstehst du schon von Jungs«, meinte Rese hochnäsig.
»Alles verstehe ich. Ich bin nämlich einer, deshalb«, protestierte Nick und klatschte auf sein Butterbrot, es war das dritte an diesem Morgen, eine ordentliche Menge Salamischeiben. »Und ich weiß, wieso du den Jan unbedingt haben willst. Du kannst’s nicht leiden, wenn jemand –«
In diesem Augenblick platzte Benno in die Küche. »Chef, da fehlt eine Pferdedecke. Ist die vielleicht irgendwie ins Haus gewandert?«
Nick hustete. Mein Pa stand auf. »Ich komme«, sagte er kurz und verschwand mit Benno.
»Zeit für den Stalldienst«, stellte meine Ma fest, nachdem sie auf die Uhr geschaut hatte. Nick legte noch eine Scheibe aufs Salamibrot und stopfte es in seine Hosentasche. »Für später.«
»Igitt! Wie unappetitlich!« Rese rümpfte die Nase.
Nick streckte ihr die Zunge raus. »Du musst das Brot ja nicht essen!«
Als ich aus der Küche gehen wollte, hielt mich meine Ma am Arm zurück. »Ally, lass dich nicht unterkriegen!«
»Warum sagst du das, Ma?«
»Ich habe den Eindruck, dass dir der Junge, dieser Jan …«
»Der ist mir komplett egal«, sagte ich heftig.
Im Gegensatz zu meiner Schwester machte ich immer gerne Stalldienst. Ich mochte den Pferdegeruch, vor dem Ausmisten ekelte es mich kein bisschen, und wenn in den Boxen frische Einstreu lag, wenn das Heunetz gefüllt, das Futter gemischt, die Wassernäpfe gesäubert waren und auch der Hof gekehrt war, winkte das Highlight der Woche: der Ausritt.
An diesem Morgen fluchte mein Pa, was das Zeug hielt: Nicht nur die Pferdedecke war verschwunden. Um nichts in der Welt konnte er seine neuen gefütterten Handschuhe finden.
»Du hast sie verschlampt«, sagte Rese ungerührt.
»Niemals! Ich weiß, dass ich sie gestern hier hingelegt habe! Ich sehe sie vor mir! Ich täusche mich doch nicht!«
Wir halfen ihm beim Suchen, aber ohne Ergebnis. Die Handschuhe waren weg.
»Noch nie wurde bei uns auf dem Hof etwas gestohlen«, schimpfte er. »Nun fehlen die Decke und die Handschuhe.«
»Die tauchen wieder auf«, versicherte Rese und reichte ihm seine alten Handschuhe.
Seine gute Laune war hin. Mürrisch stapfte er zur Koppel, und sobald die Pferde uns sahen, wieherten sie und galoppierten zu uns.
Mein Pa setzte sich ausnahmsweise auf Schneewittchen, Rese ritt heute den temperamentvollen Hip Hop, und wenn ich Fury nicht hätte reiten dürfen, wäre der Tag für mich gelaufen gewesen. Fury war einfach MEIN Pferd.
An diesem Morgen nahmen wir den Weg am Zipfelbach entlang, ritten dann den Hang bis zum Waldrand hinauf, danach ging’s ein Stück auf einem Forstweg weiter, bis wir die Anhöhe erreicht hatten. Dort hielten wir immer an. Unter uns zogen sich die Weinberge die Hügel hinauf – jetzt waren die Trauben längst geerntet und das Laub war abgefallen. Wir sahen, wie sich der Zipfelbach durch die Wiesen schlängelte, wir sahen die Pappeln und Weiden an seinen Ufern, und von dieser Stelle aus sahen wir sogar unseren Hof und die Koppel, auf der sich die Einsteller tummelten.
Immer wenn ich auf Fury saß und von dieser Stelle aus auf unseren Hof blickte, war ich froh, hier und nirgendwo anders zu leben.
Fury scharrte ungeduldig mit dem Huf und warf den Kopf hoch, und dann – dann jagte ich den Wiesenweg entlang und abwärts zwischen den Obstbäumen hindurch und auf einem schmalen Pfad durch die Weinberge, galoppierte über die Brücke und war wieder auf dem Hof.
Das war toll! Wie immer wäre ich gerne noch weiter und länger geritten, aber die Schüler warteten auf die Pferde.
Ich saß ab und führte Fury so lange herum, bis er nicht mehr schwitzte, und dabei sah ich das rostige Fahrrad.
»Hi! Ally, ich warte auf dich! Mensch, wenn ich nur schon so gut reiten könnte wie du! Weißt du, dass mir dein Vater extra Reitstunden
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