Weihnachtsglanz und Liebeszauber
ersten Geschenke besorgen wollte – das Fest stand vor der Tür! Da konnte ich schließlich nicht mit leeren Händen auf dem Sofa neben dem Baum sitzen.
Es duftete nach Glühwein, Zimt und Zuckerwatte, nach gebrannten Mandeln und Würsten auf dem Grill. Normalerweise war ich ein Fan von unserem Wehnachtsmarkt; ich besah mir gerne die gestrickten Socken, die Strohsterne, die Krippenfiguren aus Holz, die glitzernden Christbaumkugeln und all den anderen Schmuck, den man an den Baum hängen konnte. Heute fand ich alles nicht so prickelnd.
Ich schob mein Rad und beobachtete eine Frau, die eine blau geringelte Pudelmütze und einen Schal im selben Muster erstand.
Eine andere in einem schicken Pelzmantel und einer geräumigen schwarze Tasche am Arm wählte giftgrüne Socken aus. Am nächsten Stand kaufte ein Junge einen Stern aus Goldpapier. Na ja, mich riss der nicht vom Hocker. Aber die Krippenfiguren waren niedlich; vor allem das Kamel sah aus, als würde es lachen. Ein lachendes Kamel für Rese – das hatte was. Wo sie doch so dämlich war und meinte, jeder Junge hätte es auf sie abgesehen. Jemand stupste mich. »Jan! Was tust du hier?«
»Bin auf der Suche nach Geschenken. Weihnachten steht vor der Tür«, antwortete er cool. »Nettes Kamel. Willst du es kaufen?«
»Vielleicht. Weiß noch nicht«, wich ich aus.
»Wenn du es nicht nimmst, kaufe ich es. Aber ich lasse dir natürlich den Vortritt«, meinte er höflich, griff aber trotzdem nach dem Kamel.
»Kannst es haben.« Obwohl ich’s eigentlich nicht wollte, rutschte mir die Frage aus dem Mund: »Für wenn soll’s denn sein?«
»Es wäre ein nettes Geschenk für deine Schwester«, meinte er und holte den Geldbeutel aus der Hosentasche. »Es … es passte zu ihr.«
Das hatte ich auch gedacht!
»Weißt du«, sagte er ernst, »dass die Jungs aus meiner Klasse deine Schwester todlangweilig finden? Dass sie sagen, sie sei eingebildet und hochnäsig? Dass sie sich über sie lustig machen, weil sie mit Giselbert geht, den alle ätzend finden? Er ist nämlich noch langweiliger als deine Rese. Mach den Mund zu, Ally. Es ist kalt, und vielleicht zieht es auch.«
Ich klappte den Mund zu.
Wir schoben die Räder weiter. »Es wird Zeit, dass jemand deiner Schwester einen Denkzettel verpasst. Warum setzt du ihr nicht den Kopf zurecht?
»Rese kann niemand den Kopf zurechtsetzen.« Ich hob die Schultern. »Für sie bin ich einfach die kleine hässliche Schwester.«
»Die hässliche Schwester? Ally, du hast sie ja nicht alle!«, protestierte Jan.
»Es stimmt aber.« Mann, war ich blöd. So was sagte man doch nicht!
»Ich werde deiner Schwester beweisen, dass du kein kleines hässliches Aschenputtel bist«, knurrte er.
»Das geht dich nichts an! Und überhaupt – versuch’s doch! Es wird dir nicht gelingen!«
»So? Wetten dass? Lass mich nur machen, Ally.«
Ich zuckte die Schultern und konnte nichts dagegen tun, dass er neben mir sein Rad durch die Budengassen schob. Wir sahen Simon Krause, meinen Englischlehrer, der mit Hans Kuder, unserem Polizisten, an einem Tisch stand. Simon Krause genehmigte sich einen Glühwein, Kuder stippte eine Bratwurst in Senf und biss einen Happen ab. Jan kaufte uns eine Tüte gebrannte Mandeln, schob mir, bevor ich begriff, was er tat, drei auf einmal in den Mund, und dabei sah ich aus den Augenwinkeln heraus den Esel.
Nein, es war kein Mensch – es war ein richtiger grauer Esel, und wenn mich meine pferdegeübten Augen nicht täuschten, war er alt. Sein Fell war ungepflegt und glanzlos, die Mähne verfilzt, und wie er da mit gesenktem Kopf und hängendem Schweif neben dem Marktbrunnen stand, sah er alles andere als gesund aus. Um den Hals hing ihm ein großer Karton; auf dem stand: »Hilfe für den Nachbarn« und darunter: »Ich spende auch für Tiere. Ein Esel ist ein Tier!«
Zwei Jungs standen neben ihm. Der dünne kleine Junge mit den schwarzen Haaren, die noch viel krauser waren als meine, zitterte vor Kälte. Der andere war mein kleiner Bruder Nick. Er hielt seine Mütze in der Hand, bettelte die Passanten an und zitterte nicht.
Ich blieb stehen. Jan auch. »Hallo, Nick! Wissen es Ma und Pa, dass du bettelst?«
Nick war kein bisschen verlegen. »Ich bettle nicht. Ich sammle für › Hilfe für den Nachbaresel ‹ , erklärte er sachlich.
»Habt ihr kein Geld, um den Esel anständig zu füttern?«, fragte ich Sam, Nicks neuen Freund.
Der Junge schüttelte den Kopf. »Es ist nicht mein Esel. Aber wir brauchen Geld
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