Weihnachtskatze gesucht
geklebt, an jeder Haustür geklingelt und die Bewohner in Keller, Garagen und Gartenhäuschen suchen lassen und Nächte lang nicht geschlafen.« Salvia seufzte noch mal. »Horrorvorstellungen von einer im Finstern langsam verhungernden SueSue plagten mich. Immer wieder bin ich durch die Straßen und Gärten gestrichen und habe auf ein kleines Maunzen gelauscht. Nach einer Woche schließlich kam eine Nachbarin zu mir. Sie hatte unten an der Straße eine überfahrene Katze gefunden, die wie meine SueSue ausgesehen hat. Sie war lieb zu mir, die Frau, und tröstete mich damit, sie hätten das Tierchen gleich dort unter einem Holunderbusch begraben, damit ich es nicht mehr sehen musste.«
»Dann war es vielleicht gar nicht Ihre SueSue?«
»Doch. Sie hatte auch das Halsband gefunden, das an einem Zaun ganz in der Nähe hing. SueSue hatte ein großes Talent darin, sich die Dinger abzustreifen.«
Salvia sah versonnen auf ihre zerkratzten Finger. Dieser Mann stand da und sagte nichts. Aber er stand da, ruhig und geduldig, als warte er auf etwas. Auf eine Erklärung.
|48| Und irgendwie wusste sie plötzlich, was sie tatsächlich erklären wollte.
»Sie wundern sich, dass ich so innig an SueSue gehangen habe, obwohl sie nur vier Monate bei mir war«, stellte sie fest und sah ihm in die Augen. Auch die waren ruhig auf sie gerichtet.
»Ich habe viele seltsame Dinge erlebt, Salvia. Einige schienen unerklärlich. Aber vielleicht haben sie einen Grund. Ich hoffe es wenigstens. Manchmal.«
Mit dem Finger strich Salvia wieder einmal über das Katzenbild, so als könne sie das zusammengerollte Tierchen streicheln.
»Ich bin mit einer Katze groß geworden. Einer ganz gewöhnlichen Grautigerin, die auf den Namen Susi hörte. Sie war meine Spielkameradin bei Tag, sie war meine Wärmeflasche bei Nacht, sie war mütterlich und bestimmend, hatte ihre Launen und ihren Übermut. Sie hing an mir und ich an ihr. Wir verstanden uns auf eine Weise, wie nur Kinder und Tiere sich verstehen. Ich lernte Katzenchinesisch von ihr, und sie lernte, meine Stimmungen zu lesen. Bis ich vierzehn war, waren wir beständig zusammen. Ausgenommen die Zeiten, in denen meine Eltern mit mir in Urlaub fuhren. Dann kümmerten sich die Nachbarn um Susi. In diesen Zeiten der Trennung fehlte sie mir, und jedes Mal freute ich mich auf das Wiedersehen mit ihr. Susi ging es ebenso. Wann immer wir eintrafen, ob im Morgengrauen oder zur Mitternacht – Susi kam aus dem Gebüsch gesprungen und raste auf mich zu, um mir mit vielen |49| Lauten ihre Freunde über das Wiedersehen auszudrücken.«
»Ihre Rudelfreundin eben«, sagte Steve und nickte.
»Ja, wir waren wohl so etwas für sie. Aber ihre Anhänglichkeit war ihr Unglück. Wir kamen am Nachmittag aus dem Urlaub zurück. Ich stieg aus dem Wagen. Auf der anderen Straßenseite raschelte es auch schon in der Hecke, und Susi sprang auf die Straße. Ich konnte nur noch schreien. Meine Eltern hielten mich fest, sonst wäre ich vor das Auto gesprungen. Als es vorbeigefahren war, lag Susi auf dem Asphalt.«
Salvia schluckte.
Steve strich mit dem Finger ebenfalls über das Bild der schlummernden Katze.
»Leben ist so zerbrechlich.«
»Ja, nicht alle haben einen Engel, der über sie wacht. Leben ist zerbrechlich, und mein Herz zerbrach mit Susi. Ich habe danach nie wieder eine Katze haben wollen. Aber dann kam SueSue. Sie verstand auf Anhieb mein gehobenes Katzenchinesisch. Es war, als ob Susi zurückgekehrt wäre. Und dann wurde sie überfahren.« Salvia schluchzte auf. »Wie Susi.«
Ein Handytrillern durchbrach die Stille zwischen ihnen. Unwillig zog Steve das Gerät hervor und schaltete es aus.
»Entschuldigen Sie, Steve, ich wollte sie nicht mit meinen albernen Gefühlen belästigen. Es gibt weit schlimmere Dinge als das.«
»Schauen Sie nicht auf mein Bein, Salvia. Sie haben es doch schon erkannt. Ich mag Mitleid nicht.«
|50| »Nein, ein einsamer Wolf braucht das nicht.«
»Genausowenig, wie der sich die Haare färbt. Sie haben eine scharfe Zunge, Blumenmädchen.«
»Habe ich nicht. Es war nur ein missglückter Versuch, Haltung zu gewinnen. Besser, Sie gehen jetzt, bevor ich noch mehr dummes Zeug rede.«
»Ja, vielleicht besser.«
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9. Abenteuerleben
D ie dusselige Taube gurrte und gurrte, es war nicht zum Aushalten. Sie hockte auf der Spitze der funkelnden Tanne und gurrte und gurrte. SueSue saß unter der Tanne und schnatterte Bösartigkeiten zu ihr hoch. Plötzlich flog das dämliche
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