Weihnachtszauber 02
er ernst. „Ja, das weiß ich nur zu gut.“
„Hat sich Captain Heelis dir nicht anvertraut?“
„Nein, er fragt mich so gut wie nie um Rat, wenn man von seiner unglückseligen Dichtkunst einmal absieht. Selbstverständlich hätte ich dich informiert, wenn ich auch nur den Hauch einer Ahnung von seinen Plänen gehabt hätte, oder zweifelst du etwa daran?“
„Ich ... Nun, da du selbst schon einmal durchgebrannt bist, scheinst du einem solchen Vorhaben nicht gänzlich abgeneigt, Dominick“, sagte Mary und bereute ihre Worte, kaum dass sie ihre Lippen verlassen hatten. Vielleicht war der Brandy doch nicht das Richtige für diese Situation.
Dominick presste erneut die Lippen zusammen, erwiderte aber nichts darauf. Er ging zu einem der Regale, zog ein dickes Buch heraus, legte es auf den Tisch und schlug es auf. Mary erkannte, dass es sich um einen Kartenband handelte. Eine der Straßenkarten studierte er aufmerksam, wobei er die Hände auf dem Tisch aufstützte. Dabei fiel ihm erneut eine Locke in die Stirn. Unvermittelt überkam sie das eigenartige Verlangen, sie aus seinem Gesicht zu streichen, um festzustellen, ob sein Haar ebenso weich war, wie es aussah, sich so weich anfühlte, wie sie es in Erinnerung hatte.
Rasch stellte sie das Glas ab und verschränkte die Hände auf dem Schoß.
„Wenn sie bereits gestern Abend aufgebrochen sind, haben sie einen ansehnlichen Vorsprung“, sagte er. „Wenn sie aber tatsächlich die Hauptstraße nach Norden nehmen, besteht noch die Chance, sie zu finden. Im Winter kommt man nicht so schnell voran. Ich werde mich unverzüglich auf den Weg machen.“
„ Du wirst dich auf den Weg machen?“, fragte Mary.
„Selbstverständlich.“ Mit ernster, unergründlicher Miene erwiderte er ihren Blick. Im fahlen Lampenlicht wirkten seine Züge wie in Stein gemeißelt. „Denkst du etwa, ich lehne mich zurück und sehe in aller Seelenruhe zu, wie ein junges Paar in sein Unglück rennt?“
„Ich ...“ Sie wusste nicht, was sie gedacht hatte. Sie wusste lediglich, dass sie Hilfe brauchte und sich in ihrer Not unwillkürlich an ihn gewandt hatte. „Du kannst dich nicht allein auf die Suche begeben.“
„Gibt es noch jemanden, dem du diesen Vorfall guten Gewissens anvertrauen kannst?“
Nein, natürlich nicht, dachte Mary. Es gab niemanden, der die Folgen nicht absehen und dennoch kein Urteil über ihre Schwester fällen würde, so wie Dominick. Er wusste besser als jeder andere über diese Dinge Bescheid. Der Gedanke indes, dass er in diesem unberechenbaren Winterwetter allein unterwegs war, noch dazu wegen ihrer törichten Schwester, bereitete ihr Unbehagen. Außerdem musste sie an Ort und Stelle sein, um Ginny zu einer friedlichen Umkehr zu bewegen, obgleich ihr bei der Vorstellung, allein mit Dominick zu sein, das Herz bis zum Hals schlug.
„Ich komme mit dir. Ginny ist meine Schwester. Ich bin für sie verantwortlich und habe in meiner Pflicht versagt. Wenn du Ginny gefunden hast, werde ich mich um sie kümmern müssen.“ Vielleicht konnte sie auf diese Weise auch ein wenig wieder gutmachen, dass sie ihrem Sohn nicht hatte helfen können.
Er schüttelte entschlossen den Kopf. „Nein, Mary. Es ist bitterkalter Dezember, und wir haben nicht die Zeit, um mit einer großen, langsamen Kutsche zu reisen.“
„Dann nehmen wir eben eine kleine, schnellere. Wie ich hörte, bist du im vergangenen Sommer ein Wettrennen mit einer Karriole nach Brighton gefahren.“
Dominick lachte auf. „Du willst bei diesem Wetter mit einer offenen Karriole fahren?“
„Dann miete ich halt eine Kalesche. Die kannst du gewiss auch kutschieren. Oder wir reiten eben, ich bin immer noch sattelfest. So oder so, ich werde mitkommen.“
„Mary“, sagte er erneut. Beim Klang ihres Namens, ausgesprochen von seiner volltönenden, tiefen Stimme, verspürte sie ein Kribbeln bis in die Fußspitzen. „Was geschieht wohl, wenn man uns zufällig zusammen sieht? Die respektable verwitwete Lady Derrington verreist mit dem berüchtigten Schwerenöter Lord Amesby – die Klatschzungen würden keine Ruhe mehr geben. Du hast deine Entscheidung nicht durchdacht.“
Damit hatte er natürlich recht. Seit der Entdeckung von Ginnys Nachricht hatte sie über ihr Handeln nicht mehr nachgedacht. Aber sie war es auch leid, jede Entscheidung sorgfältig zu überdenken und sämtliche möglichen Folgen zu berücksichtigen. Sie war es leid, immerzu so verflixt vorausschauend handeln zu müssen. Vorsicht und Vernunft
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