Weihnachtszauber 02
Miene verfinsterte sich. „Ich schlage vor, Madam, wir zünden eine Kerze an und beginnen dieses Gespräch noch einmal von vorn.“
Amelia konnte ihre Verblüffung über dieses Ansinnen kaum verbergen. Dieser Mann hätte in dem Moment, da sie mit der geladenen Pistole auf ihn zielte, auf dem Absatz kehrtmachen und davonlaufen sollen. Ganz gewiss hatte sie nicht erwartet, dass er sich über sie lustig machte oder sie in die Arme nahm. Ebenso wenig hatte sie damit gerechnet, dass es ihn so völlig unbeeindruckt lassen würde, wenn sie ihm mit der Schießfertigkeit eines Gatten oder mit bissigen Hunden drohte.
Seine herrische Art und sein Vorschlag, eine Kerze anzuzünden, bevor sie das Gespräch fortsetzten, ließ sie vermuten, dass er ihre Behauptungen überhaupt nicht ernst nahm.
Forschend taxierte sie ihn. Ihre Augen hatten sich inzwischen an das fahle Mondlicht gewöhnt, das durch die hohen Fenster hereinschien, und so konnte sie erkennen, dass der Mann etwa dreißig Jahre alt war – vielleicht ein wenig jünger. Dunkles, welliges Haar umrahmte sein markantes, verwegen attraktives Gesicht. Die Lider hatte er halb gesenkt, und das Licht war zu dämmrig, sodass sie die Farbe seiner Augen nicht erkennen konnte. Eindeutig lag in ihnen jedoch ein unheilvolles Funkeln.
Er trug einen weit geschnittenen Wintermantel mit mehreren Überwürfen an Ärmeln und Schultern, was zweifellos der Grund dafür gewesen war, dass er sie vorhin an einen Racheengel erinnert hatte. Da der Mantel geöffnet war, konnte sie ein schneeweißes Hemd und einen dunklen Gehrock erkennen. Seine hellen Breeches steckten in schwarzen Hessenstiefeln.
Eigentlich sieht er gar nicht wie ein Einbrecher aus, dachte Amelia, sondern eher wie ein arroganter, selbstsicherer, modebewusster Gentleman. „Wer sind Sie, Sir?“
Argwöhnisch beobachtete sie ihn.
„Hätten Sie mir diese Frage nicht viel früher stellen sollen?“, sagte er schroff.
Amelia musste sich eingestehen, dass sie dies angesichts seines ausgeprägten Selbstbewusstseins und seines unübersehbaren Wohlstands wohl tatsächlich hätte tun sollen. Dennoch ... „Wann hätte ich Sie nach Ihrem Namen fragen sollen – bevor Sie sich widerrechtlich Zugang zu Steadley Manor verschafft haben oder nachdem Sie in das Haus eingebrochen sind?“
„Ich bin mitten in der Nacht eingetroffen, Madam, weil es mich den ganzen Tag gekostet hat, durch eisige Kälte und Schnee hierher zu reisen“, erklärte er barsch.
Sein dunkles, leicht gewelltes Haar sah tatsächlich ein wenig feucht aus, wie Amelia feststellte.
„Und ich bin nicht eingebrochen“, fuhr er ruppig fort. „Der Riegel an der Vordertür war bereits defekt und ist aus einem unerklärlichen Grund nicht repariert worden!“
So unerklärlich war der Grund dafür nicht. In Steadley Manor gab es weder das Geld, um eine solche Reparatur zu bezahlen, noch einen Menschen, der sie hätte ausführen können. „Darum geht es nicht ...“
„Doch, Madam, genau darum geht es.“ Gray stand kurz davor, die Geduld zu verlieren. Und das passierte ihm höchst selten, eigentlich so gut wie nie. Lord Gideon Grayson war in der feinen Gesellschaft hoch angesehen und wurde als reicher Junggeselle von allen bewundert und umschwärmt. Höchst selten kam es vor, dass man ihm widersprach oder sich seinem Willen widersetzte. Diese Tatsache wollte er dieser leichtfertigen Gouvernante seines Mündels unmissverständlich klarmachen. „Ich verlange, dass umgehend eine Kerze angezündet wird.“
„Aber ...“
„Jetzt, wenn ich bitten darf, Madam!“
„Es besteht keinerlei Grund, mich anzubrüllen ...“
„Ich versichere Ihnen, ich habe noch gar nicht angefangen zu brüllen.“ Gray sah sie verärgert an. „Die Kerze, Madam!“
Amelia hielt es für unklug, den Mann noch mehr zu reizen. Also ging sie zum Tisch, der sich so schön in der kleinen Nische am hinteren Ende des Treppenabsatzes ausnahm, und holte die Kerze, die sie dort bereitgestellt hatte. Mit bebenden Fingern entzündete sie den Docht. Dann atmete sie tief durch, um sich zu beruhigen, und steckte die brennende Kerze in den Halter, ehe sie sich wieder dem Mann zuwandte. Seine unerschütterliche Arroganz ließ sie inzwischen vermuten, er habe möglicherweise jedes Recht, Steadley Manor mitten in der Nacht zu betreten.
Der Schein der Kerze beleuchtete sein attraktives, wie gemeißeltes Gesicht, das von durchdringenden grauen Augen beherrscht wurde, und Amelia sah auf den ersten Blick, dass
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