Weil du mich erloest
schweigend ihr Frühstück fort. Das heißt, Ian nicht, wie Francesca bemerkte. Sie kaute ihren Toast langsamer, als sie Ians starren Blick über seine Kaffeetasse hinweg bemerkte, mit dem er Gerard beobachtete.
Später am Nachmittag wartete Gerard geduldig in James’ privatem Büro. Er wusste, dass James jede Sekunde der Pressekonferenz an Ians Seite bleiben würde, um seinem Augapfel, seinem tragischen, perfekten Enkel jegliche Unterstützung anzubieten. Gerard rollte bei dem Gedanken die Augen. Schon früher hatte Gerard James’ Büro benutzt und war daher mit dem ehrwürdigen Raum gut vertraut. Als er erwähnt hatte, dass er wichtige Geschäfte zu erledigen habe und leider nicht an der Pressekonferenz teilnehmen könne, hatte James ihm sein Büro angeboten. Ganz genauso, wie Gerard das erwartet hatte.
Und tatsächlich hatte Gerard heute ungemein wichtige Geschäfte zu erledigen.
Brodsik hatte sich verspätet. Der Mann war fast ebenso zerstreut wie Clarisse, dafür aber doppelt so dick. Dazu noch eine gehörige Portion Geldgier und fertig war ein Paradebeispiel für Unzuverlässigkeit. Gerard hasste es, dass er Vertrauen, und sei es auch nur ein ganz klein wenig, in Menschen wie Brodsik und Stern stecken musste. Stern hatte er schon bald nach der Ankunft der beiden Kriminellen in England entsorgt. Brodsik brauchte er noch. Denn es war Brodsik gewesen, den Francesca in Chicago gesehen hatte. Und es war auch sein Gesicht gewesen, das Ian und sie am Tag zuvor erschreckt hatte. Stern dagegen war ein dahergelaufener Nichtsnutz, der Gerard in keiner Beziehung irgendwie weitergeholfen hätte. Er hatte also schon frühzeitig gehen müssen.
Wider besseres Wissen war Gerard gezwungen gewesen, diese beiden Männer zu engagieren, nachdem Francesca seinen Plan, Noble Enterprises mit einer feindlichen Übernahme unter seine finanzielle Kontrolle zu bringen, blockiert hatte. Als sich das herausgestellt hatte, musste er einen Plan entwickeln, um Ian aus seinem Versteck zu locken. Und was wäre besser geeignet, seinen noblen Cousin wachzurütteln, als eine potenzielle Gefahr für seine verlassene Geliebte? Ja, es stimmt, es war riskant gewesen. Schließlich hatte Ian seine Verlobte verlassen. Möglicherweise hätte es ihn gar nicht interessiert, wenn Francesca bedroht worden wäre? Aber doch, Gerard hatte recht behalten. In dem Augenblick, in dem sich Francesca in Gefahr befand, kam er auf die Bühne gestürzt, bereit die Rolle des tragischen Ritters in glänzender Rüstung zu spielen.
Er konnte in Ian so leicht lesen wie in einem Groschenroman.
Es hatte wunderbar funktioniert. Der Zeitpunkt, um zuzuschlagen, war gekommen. Er konnte kaum in Ians Blickfeld geraten, wenn er der geheimnisvolle Unbekannte blieb. Ian war verletzlich. Niemand wäre völlig schockiert, wenn er durchdrehen und Francesca mit sich nehmen würde.
Er warf einen Blick auf die Uhr und machte ein finsteres Gesicht. Entfernt hörte er Ians gedämpfte Stimme, wie er durch ein Mikrofon sprach. Die Pressekonferenz lief. Sein Cousin war eifrig dabei, um Unterstützung für sich zu werben und der Welt das Gesicht eines zuversichtlichen, genialen Strategen zu zeigen.
Doch Gerard kannte die Wahrheit. Das Passwort, das er mithilfe des Überwachungsvideos entziffert hatte, war das richtige gewesen. Gestern hatte er Ians Dokumente kopiert. Alle Dokumente. Er hatte sie in der Nacht schon einmal überflogen – nachdem er Ians und Francescas stürmisches Liebesspiel belauscht hatte. Er verfluchte Ian dafür, es mit Francesca an Orten zu treiben, die Gerard vorher nicht bedacht hatte. Er hatte eine der beiden Kameras neu eingestellt, schließlich brauchte er die Überwachung von Ians Schreibtisch nicht mehr. Dafür hatte er sie in eine Ecke ausgerichtet, von der er vermutete, dass Ian Francesca in der vergangenen Nacht dort vögeln würde. Doch wie in allen Dingen machte Ian ihm auch hier einen Strich durch die Rechnung. Und so blieb ihm nichts anderes übrig, als zuzuhören, wie Francesca versohlt wurde. Er masturbierte dann später, als er begierig belauscht hatte, wie sie von ihm anal genommen wurde. Sein Höhepunkt war so explosionsartig gewesen, dass er danach gar nicht mehr interessiert war, das Liebesspiel des Pärchens im Bett zu beobachten. Stattdessen hatte er sich Ians Computerdateien angesehen.
Auf diese Art und Weise hatte er in Erfahrung gebracht, dass Ian Noble keineswegs der kühle, zurückhaltende, alles kontrollierende, geniale Milliardär war,
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