Weil du mich erloest
der zu sein er jetzt gerade vor den versammelten Journalisten vorgab. Er war eigentlich ein Mann am Rande des Wahnsinns, vom Tod seiner Mutter und der Erkenntnis über die Identität seines leiblichen Vaters ins Schwanken gebracht.
Ian Noble, der Sohn eines verurteilten Vergewaltigers.
Nachdem Gerard den explosiven Inhalt von Ians Computer gesichtet hatte, änderte er seine Pläne.
Das Kennzeichen wirklicher Brillanz war doch vor allem die Fähigkeit, die Schwäche eines Menschen in Erfahrung zu bringen und dann genau die richtige Menge Druck auf diesen Punkt auszuüben, sodass im Nachhinein der entstandene Zusammenbruch wie unausweichlich aussah.
Diese Fähigkeit hatte er zum ersten Mal bei seinen Eltern unter Beweis gestellt. Zufällig hatte er erfahren, dass die Automarke, die seine Eltern fuhren, ein Problem mit der Bremsanlage hatte. Ein Schulfreund aus Oxford, der aus einer einflussreichen Familie stammte, hatte einem anderen Klassenkameraden diese von den Herstellern geheim gehaltene Tatsache erzählt, und Gerard hatte das Gespräch zufällig mitangehört. Bis heute wusste niemand davon. Aber als Gerard erst einmal davon erfahren hatte, war es für ihn ein Kinderspiel, schließlich schraubte er seit seiner frühesten Kindheit an Autos und Motorrädern herum – und voilà. Seine Eltern waren tot. Damit standen ihm nicht nur deren Vermögen und Eigentum zur freien Verfügung, er hatte auch noch einen sehr lukrativen Schadenersatzprozess gegen den Autohersteller geführt. Es war fast lächerlich einfach gewesen, doch Gerard wusste, dass man Geduld beweisen musste, wenn man auf die perfekte Gelegenheit warten wollte.
Und Geduld war seine Stärke.
Genau die richtige Menge Druck genau an der richtigen Stelle einzusetzen: Das war sein Motto. Es niemals übertreiben. Natürlich waren Francesca und Ian in diesem Szenario die Schwachpunkte, allerdings hatte sich Francesca als zu unabhängig und lästig herausgestellt. Sie hatte sowohl seinen Plan für die Verführung als auch den für die Tyake-Übernahme vereitelt. Zusammen mit diesem ärgerlich selbstzufriedenen Lucien, eine der vielen unberechenbaren Größen, die Gerard nie ganz sicher beherrschen konnte, hatte sie seine dezenten Bemühungen, endlich Kontrolle über Noble Enterprises zu erlangen, zunichtegemacht.
Aber wenn Gerard etwas war, dann flexibel. Man musste sich von den Gezeiten treiben lassen, nicht gegen sie ankämpfen. Es fühlte sich an, als sei er mit dem Wissen um Ians Verletzlichkeit nun noch zusätzlich gesegnet. Natürlich hatte er schon gewusst, dass Ian nach dem Tod seiner Mutter und seinem Untertauchen geschwächt war. Und Gerard hatte schnell reagiert und versucht, aus Ians verletztem Zustand und seiner Abwesenheit einen Vorteil zu ziehen. Als sich die Gelegenheit mit Tyake bot, war Gerard bereit gewesen, einen der seltenen Schwachpunkte auszunutzen, der ihm Zugriff auf Ians Firma ermöglicht hätte. Er war dazu auf Francescas Mitarbeit angewiesen gewesen, doch er musste bald einsehen, dass sie mit Lucien an ihrer Seite und dessen Ratschlägen nicht so gefügig war wie erhofft.
Nun hatte er die Munition zusammen, die er brauchte, um eine Explosion zu zünden. Und mit ein wenig Glück würde auch dieser nervige Lucien in dem Großbrand untergehen. Manoir Aurore, der Ort, an dem sich Ian eingegraben und an dem er sicher auch verrückt geworden war, war der ideale Ort für seinen Tod. Wenn bekannt würde, was Ian dort trieb, würden nur wenige daran zweifeln, dass Ian eine lebende Zeitbombe war. Sie würden von seiner Selbstzerstörung nicht überrascht sein.
Mit diesem neuen Plan in der Tasche konnte Gerard Ian nicht länger hier in Belford brauchen. Also musste er für das Ende der offensichtlichen Bedrohung durch Brodsik sorgen und ein paar offene Enden in der Geschichte miteinander verknüpfen.
Als sich die Tür am anderen Ende des Raumes öffnete, blickte Gerard ruhig auf. Er hatte Brodsik erklärt, wie er hereinkommen könnte und ihm eingeschärft, früh zu kommen und im Billardzimmer zu bleiben, bis Gerard ihn günstigerweise zur verabredeten Zeit treffen konnte.
»Sie sind zu spät«, sagte er, blieb aber in dem Stuhl hinter James’ großem Schreibtisch sitzen.
»Ich musste vorsichtig sein. Hier quillt alles über vor Sicherheitsleuten«, gab Brodsik zurück und kam auf ihn zu.
Gerard zuckte mit den Schultern.
»Nur wegen dieser Pressekonferenz. Schließlich ist Ian der Gott unserer westlichen Wirtschaftswelt«, sagte er
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