Weil du mich siehst
auch«, sagte Kathi nun. »Ich habe auch Menschen verloren, meine Tante und meinen Opa. Ich weiß, wie das ist.«
»Nein, das weißt du nicht«, sagte Paula traurig. »Menschen müssen von uns gehen, das ist der Lauf der Dinge. Aber wenn die viel zu früh gehen und nichts als Schmerz und Leere hinterlassen … das prägt einen einfach. Danach ist alles anders.«
»Und er versteht das?«, fragte Kathi ein wenig gekränkt.
»Ja, das tut er. Er weiß, was Verlust bedeutet und Selbstvorwürfe und Todessehnsucht.«
»Woher weißt du denn das? Wie verständigt ihr euch eigentlich, wenn er stumm ist? Oh Gott, du kannst ihn weder sehen noch hören. Das ist doch ...«
»Was ist das, Kathi?«
»Das ist krank. Du weißt nicht, wie er aussieht und du kannst dich nicht mal unterhalten. Du weißt absolut gar nichts über ihn. Es könnte sein, dass er dich einfach nur ausnutzt, dass er nur mit dir ins Bett will.«
»Wir haben doch nicht einmal miteinander geschlafen. Mit uns ist es etwas anderes.«
»Und was ist es? Ich versuche wirklich, es zu verstehen.« Kathi sah Paula jetzt ziemlich ratlos an.
»Es ist Ankommen.«
»Ankommen?«
»Ich war auf einer Wiese«, begann Paula. »Hielt mich an einem Grashalm fest. Die beiden wunderschönen Sonnenblumen waren längst verblüht. Alles, was da war, war Gras. Ich irrte durch die Grashalme wie durch ein Labyrinth und fand keinen Ausweg. Da waren nichts als Grashalme. Und dann eines Tages stand ein Gänseblümchen vor mir. Es war ganz mickrig und schon ein wenig verwelkt, aber es war ein Gänseblümchen.«
Kathi hatte bedächtig zugehört. »Du meinst, Max und Louisa waren die Sonnenblumen und dieser Finn ist das Gänseblümchen? Paula, du musst dich nicht unter Wert verkaufen, irgendwann wirst auch du wieder eine Sonnenblume finden.«
Sie versteht es einfach nicht , dachte Paula. Für einen normalen, gesunden Menschen ist es wahrscheinlich auch nicht zu verstehen.
»Kathi. Ich bin blind. Und ich werde es immer sein. Ich mache mir nichts vor. Und eigentlich hatte ich überhaupt nicht vor, mich jemals wieder zu verlieben, ganz egal ob in eine Sonnenblume oder ein Gänseblümchen. Manchmal greift aber einfach das Schicksal ein und etwas Unerwartetes, Wundervolles geschieht.«
»Ich kann mir dich einfach mit niemand anderem vorstellen als mit Max. Ihr wart das perfekte Paar. Es ist eine Tragödie, dass ihr nicht für immer zusammen sein solltet.« Sie nahm nun Paulas Hand und sah ihr traurig ins Gesicht. »Verzeih mir, Paula, ich wollte dir nichts miesmachen. Ich begriff nur einfach auf den ersten Blick nicht, worum es hier geht. Mit Finn. Aber wenn du glücklich bist, und ich wünsche dir sehr, dass du es nach so langer Zeit endlich wieder sein kannst, dann freue ich mich für dich. Nur du kannst wissen, was gut für dich ist.«
Paula lächelte jetzt. »Finn ist gut für mich, Kathi. Es ist, als wenn zwei verlorene Seelen umhergeirrt sind, um endlich zueinanderzufinden und sich gegenseitig Trost zu spenden. Es ist, als wenn zwei Hälften wieder zu einem Ganzen wurden.«
»Dann hoffe ich sehr, dass dich dein Herz nicht täuscht und dies wirklich das ist, was du brauchst.«
»Da bin ich mir ganz sicher.« Paula spürte einen Sonnenstrahl auf ihrem Gesicht. Er schien durchs Fenster und war so hell und warm, dass Paula Lust bekam, rauszugehen.
Spaziergang im Park
Sobald Kathi gegangen war, rief Paula Finn an. »Hast du Lust, einen Spaziergang mit mir zu machen?«
Finn lächelte ins Telefon. So, wie die Frau ihn vorhin angesehen hatte, hatte er sich schon Sorgen gemacht, dass sie Paula das mit ihm ausreden würde.
»Kathi ist weg«, sagte Paula, als könne sie seine Gedanken lesen. »Ich habe ihr das mit uns erklärt. Wenn sie ein Problem damit hat, dann ist es ihr Problem. Also, holst du mich heute Nachmittag ab?«
Finn öffnete seinen Mund und formte ein »Ja«, das Paula nicht hören konnte. Also klopfte er an den Hörer und hoffte, sie verstand.
»Ich freue mich darauf«, sagte Paula und hängte auf.
♥
Paula hatte freudig und ungeduldig gewartet. Um halb drei war Finn da mit einer Packung Pralinen. Er hatte gesehen, dass sie Schokolade im Schrank hatte und gedacht, damit könnte er ihr eine Freude machen.
»Vielen Dank«, sagte Paula und umarmte ihn. »Wollen wir gleich los?«
Sie lächelte ihn so strahlend an, dass es ansteckte. Nun selber strahlend
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