Weil du mich siehst
gewesen.
Sie fühlte sich schlecht, weil sie es nicht sagen konnte, noch nicht sagen konnte, und es vielleicht niemals sagen können würde. Finn sagte, es mache ihm nichts aus, seine Liebe reiche für zwei. Aber konnte sie das zulassen? Ihm das antun? Was, wenn die Gedanken wieder Überhand nahmen und ihr Leben bestimmten? Dass sie sie im Moment einigermaßen gut im Griff hatte, hieß nicht, dass sie es nie wieder versuchen würde. Sie wollte immer noch bei Max und Louisa sein, mehr als alles andere.
»Ach, Finn ...«, war alles, was sie sagen konnte.
Finn legte ihr einen Finger auf den Mund, um sie vom Sprechen abzuhalten. ICH BIN GEDULDIG, sagte er.
Paula lächelte traurig. Sie wünschte wirklich, dass sich seine Geduld für ihn auszahlen würde.
Paula hörte etwas. Noch bevor sie realisieren konnte, was es war, war auch schon Kathis Stimme allgegenwärtig: »Oh, Scheiße, Entschuldigung ...«
Finn blickte auf. Er hatte sie nicht kommen sehen und wusste auch nicht, wer sie war. Doch da stand sie im Raum, diese Fremde, die ihn und Paula angewidert ansah. Erschrocken sprang er auf und streichelte Paula zum Abschied noch einmal über die Wange. Dann schnappte er sich seine Jacke, schlüpfte in seine Schuhe und war weg.
Paula fühlte sich ertappt. Kathi war bei ihr aufgetaucht, unangemeldet. Sie hatte einen Schlüssel, für Notfälle und damit Paula nicht jedes Mal zur Tür kommen musste, wenn sie vorbeischaute. Nur was wollte sie hier? An einem Samstag in aller Früh. Paula suchte nach ihrem Handy und drückte eine Taste. »Es ist neun Uhr achtundvierzig.«
Ach, so spät schon? , dachte Paula.
»Finn?«, rief sie. Doch dann hörte sie, wie die Tür ins Schloss fiel.
»Er ist weg«, sagte Kathi.
»Hallo, Kathi. Was machst du hier?«, fragte Paula etwas geniert. Die Sache war ihr peinlich, auch wenn sie nicht wusste warum. Vielleicht weil sie, auch ohne es sehen zu können, Kathi dastehen sah , die Hände in die Hüften gestemmt und einen Gesichtsausdruck, der alles andere als Freude für sie und Finn ausdrückte. Das wusste sie, denn so schnell wie Finn weg gewesen war, konnte es nicht anders sein.
»Sag mal, was ist denn nur mit dir los?«, fragte Kathi vorwurfsvoll.
»Was soll das denn heißen?«
»Was hast du mit diesem Jungen getrieben?«
Paula vergrub das Gesicht in den Händen. Dann rieb sie sich den Schlaf aus den Augen und band sich die Haare zu einem Zopf. Ihr war klar, dass Kathi auf eine Antwort wartete, doch war sie bereit, sie ihr zu geben? Würde sie überhaupt verstehen, worum es hierbei ging? Allein ihre Reaktion sagte doch schon alles. Das Schlimme war, dass Paula nichts anderes erwartet hatte.
»Jetzt sag mir erst einmal, was du hier machst, Kathi. Ich wüsste nicht, dass wir verabredet wären. Du platzt hier einfach so herein und verscheuchst Finn.«
»Sandra hat mich angerufen und mir gesagt, dass Damian die Windpocken habe, dass das Treffen deshalb geplatzt sei und dass ich doch bitte mal bei dir vorbeischauen solle, ob du okay bist. Aber anscheinend bist du es, mehr als das sogar«, sagte sie abfällig.
»Was ist eigentlich dein Problem, Kathi? Denn ich verstehe es wirklich nicht.«
»Ach, Paula«, seufzte Kathi. Sie setzte sich nun zu ihrer Freundin aufs Sofa. »Weißt du eigentlich, was du da machst?«
Paula schwieg. Nein, sie wusste es wirklich nicht so genau. Was sie einzig und allein wusste, war, dass es sich gut anfühlte, dass sie anfing, sich wieder lebendig zu fühlen.
»Wohl nicht, oder? Also, für mich sieht es so aus, als ob du dir jemanden gesucht hättest, damit du dich auch mal wieder begehrt fühlst und weiblich und so. Ich kann es ja auch verstehen, immerhin ist Max seit zwei Jahren … und du hattest schon lange keinen … keine Zweisamkeit mehr. Aber weißt du eigentlich, mit wem du dich da eingelassen hast?«
»Ja, das weiß ich sehr gut.« Langsam wurde Paula sauer.
»Und weißt du auch, dass er noch ein Kind ist? Oh Gott, ich hoffe, er ist wenigstens volljährig.«
»Kathi! Er ist zwanzig. Und Menschen wie uns ist das Alter nicht wichtig, es ist nebensächlich. Wir sehen nicht das Äußerliche, wir sehen allein mit dem Herzen.«
»Menschen wie euch? Was soll das denn bedeuten, Paula? Ist er auch blind? Ist er aus deiner Gruppe?«
»Er ist stumm. Er hat Schlimmes erlebt, Menschen verloren – wie ich. Er versteht mich.«
»Ich verstehe dich
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