Weil wir glücklich waren - Roman
würde Natalie ihn auf einen Zettel schreiben, diesen in ihr Portemonnaie legen und ihn sich für alle Zeiten einprägen. Sobald sich ihr eigenes Leben ein bisschen beruhigt hätte, würde sie sich dem ihrer Tochter wieder mehr widmen.
»Liebes? Alles in Ordnung?«
»Mir geht's gut.« Veronica drehte sich um und ließ ihr dunkles Haar nach vorne fallen. »Aber ich brauche ein bisschen Zeit für mich.« Sie lehnte sich, immer noch mit dem Rücken zu Natalie, an ihre Kommode. »Hier«, fügte sie leise hinzu.
»Oh. Ja. Natürlich.« Natalie drehte sich auf der Suche nach ihrem Mantel hastig im Kreis. Früher war sie nie die Art von Mutter gewesen, die das erste »Mir geht's gut« von einer ihrer Töchter akzeptiert hatte. Sie war der Typ Mutter gewesen, der behutsam mehr Informationen herauszukitzeln versuchte. Ihrer Erfahrung nach redeten sie, wenn man lange genug nachbohrte, weil sie im Grunde reden wollten. Aber diesmal blieb Natalie nichts anderes übrig, als sich bei der ersten Bitte zurückzuziehen, obwohl es Veronica eindeutig nicht gut ging. Das war eines der Probleme - oder vielmehr das Hauptproblem -, wenn man gleichzeitig Mutter und ein Sozialfall war. Es war Veronicas Zimmer. Wenn sie allein sein wollte, musste Natalie gehen.
Sie hörte auf, sich im Kreis zu drehen. Ihr Mantel hing im Schrank, dort, wo sonst der Morgenmantel ihrer Tochter hing. Sie machte die Tür auf und nahm ihren Mantel rasch heraus. »Ich gehe ein paar Besorgungen machen«, sagte sie, was einfach blöd war. Welche Besorgungen? Es war nach sieben, und sie hatte keinen Kühlschrank. Sie setzte ihre Mütze auf und wich dem Blick ihrer Tochter aus. Hatte Jimmy wieder angerufen? Oder hatte es etwas mit ihrem Freund zu tun? War ihr Freund gemein zu ihr gewesen? Vielleicht war das Gespräch mit Marley nicht gut gelaufen.
Bowzer, der spürte, dass sie gehen wollte, winselte und versuchte aufzustehen. Eines seiner Beine gab unter ihm nach, und er fiel zurück aufs Bett. Er stöhnte und versuchte es noch einmal. Er konnte überhaupt nicht mehr ohne sie sein. Es war, als hätte sie wieder ein kleines Kind.
»Nein. Bleib!« Sie hob eine Hand und hoffte, er würde sich nicht weiterquälen. Sie sah Veronica an. »Er kann doch hier bei dir bleiben?«
Veronica ging durch das Zimmer zum Bett und setzte sich neben ihn. Ihr grüner Pullover war hübsch und aus einem weichen Material, das so aussah, als würde es Hundehaare lieben, aber sie legte beide Arme um Bowzer und hob ihn auf ihren Schoß.
»Willst du nicht doch darüber reden?«, fragte Natalie. Sie konnte nicht anders. Aber sie war im Begriff zu gehen, eine Hand auf der Türklinke. Sie wollte bloß sichergehen.
Bowzer lehnte sich vor. Veronica schüttelte mit einem schnellen und unglaubwürdigen Lächeln den Kopf. »Alles okay«, wiederholte sie.
Ruf mich an, wenn du mich brauchst, hätte Natalie gern gesagt, aber das konnte sie nicht. Sie hatte kein Handy.
Wahrscheinlich hätte sie etwas zu lesen mitnehmen sollen. Sie würde die Zeit in einem Café oder Restaurant totschlagen müssen. Um spazieren zu gehen, war es zu kalt und zu dunkel, und sie wollte kein Benzin verschwenden, indem sie ziellos in der Gegend herumfuhr. Sie könnte versuchen, die Stadtbücherei zu finden. Oder sie könnte das tun, was ein produktiver und tüchtiger Mensch in ihrer Situation täte: sich die Zeitung besorgen und in den Stellenangeboten nach einem besseren Job suchen.
Sie blieb bei einem Zeitungsständer stehen und nahm voller unguter Vorahnungen eine Zeitung heraus. Es war immer so entmutigend, Stellenangebote für Lehrer zu sehen und zu wissen, dass zwar nach jemandem mit ihrem Abschluss gesucht wurde, sie aber trotzdem nicht das war, was gute Schulen wollten. Sie war zu alt, zu lange aus dem Berufsleben heraus und sprachlich nicht mehr auf dem Laufenden. In den letzten Jahren, sowohl vor als auch nach ihrer Scheidung, hatte sie sich um achtundzwanzig Stellen beworben und zwei Vorstellungsgespräche bekommen - beide in einer Junior High mit Metalldetektoren an den Eingängen und Notrufanlagen in jedem Klassenzimmer. Das waren die Schulen, an denen sich die frischgebackenen Pädagogikabsolventen nicht scharenweise bewarben - und anscheinend die einzigen Schulen, die eventuell eine Frau in mittleren Jahren einstellen würden, die seit fünfundzwanzig Jahren keine Klasse mehr geleitet hatte. Die Erkenntnis, dass sie mit ihrer mangelnden Erfahrung eine weitere Benachteilung der ärmeren Kinder im Großraum
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