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Weil wir glücklich waren - Roman

Weil wir glücklich waren - Roman

Titel: Weil wir glücklich waren - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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liebte, nicht geheiratet, weil er umzog? In Kansas City befand sich die Anwaltskanzlei, in der er Arbeit gefunden hatte. Jemand musste Zugeständnisse machen. Jemand musste flexibel sein. Und da der Mensch, den sie zufällig liebte, ungefähr fünfmal so viel verdienen würde wie sie, schien es nur logisch zu sein, dass die Flexibilität von ihr verlangt wurde.
    Natalies Mutter hatte kein Problem gesehen. »Bitte«, sagte sie. »Deine Cousins und Cousinen waren vom ersten Tag an in einer Kindertagesstätte, und alle sind anständige Menschen geworden. Und ich kenne viele Kinder, die bei ihren Müttern zu Hause geblieben sind und Plagegeister wurden, die man nicht gern um sich hatte. Nein, Liebes, ich rede nicht von dir.«
    Dans Mutter hingegen war nicht so überzeugt davon gewesen, dass es eine gute Idee war, das bildhübsche Baby Elise in einer Tagesstätte unterzubringen. Sie kam zur Geburt mit dem Flugzeug aus New York und blieb für mehrere Wochen. Als sie im Kinderzimmer zum ersten Mal die Milchpumpe sah, musterte sie das Gerät misstrauisch.
    »Du machst dir all die Mühe?«, sagte sie - oder vielleicht fragte sie sie auch. Leni von Holten war eine rundliche Frau, die ihre Stimme an jedem Satzende hob, ob es sich um eine Frage handelte oder nicht, sodass Natalie nie sicher war, ob sie antworten musste. »Du pumpst die Milch ab? Das kann doch nicht angenehm sein? Damit du einen Beruf ausüben kannst, den du nicht brauchst, den du nicht einmal besonders magst? Dan verdient genug, um euch beide zu ernähren? Du willst wirklich deine Zeit damit verbringen, dich um anderer Leute Kinder zu kümmern, während Fremde dein Kind betreuen? Dieses hübsche Mädchen? Diesen süßen Wonneproppen, der nur einmal im Leben ein Baby ist?«
    Natalie hatte für ihre Schwiegermutter durchdachte, pragmatische Antworten parat gehabt. Sie erklärte, dass sie gern Lehrerin sei, sie hätte sich nicht so oft beklagen sollen, das vergangene Schuljahr sei wegen mehr emotional gestörten Kindern und einigen auffallend aggressiven Eltern besonders schwierig gewesen, nächstes Jahr werde es besser laufen. Wirklich, sie freue sich auf ihre Arbeit. Sie habe die beste verfügbare Tagesstätte gefunden und sei überzeugt, dass Elise dort gut aufgehoben sei.
    Aber noch während sie diese Worte im Brustton der Überzeugung aussprach, spürte sie, wie sie innerlich ins Wanken geriet. Dan verdiente tatsächlich genug Geld; sie musste nicht arbeiten. Ihr dürftiges Gehalt spielte kaum eine Rolle - und im nächsten Jahr würde ein Großteil davon für die Tagesstätte draufgehen, damit sie überhaupt arbeiten gehen konnte. Ihr Leben wäre dann wie eine Schlange, die sich in den eigenen Schwanz biss. Sie würde sich selbst unglücklich machen, nur um ihren Prinzipien treu zu bleiben.
    Trotzdem ging sie im Herbst wie geplant wieder arbeiten. Als sie das erste Mal eine heulende Elise bei der Tagesstätte absetzte, stählte sie sich innerlich und versuchte, wie ihre Mutter zu denken (Du machst das Richtige! Du bist eine vorbildliche Identifikationsfigur! Es wird ihr dort gut gehen!) und nicht wie ihre Schwiegermutter (Bist du verrückt?).
    Anfang November begann sie zu denken, dass ihre Schwiegermutter recht haben könnte. Sie hatte das Gefühl, verrückt zu sein. Sie war erschöpft. Elise bekam eine Krankheit nach der anderen: Erkältung, Bindehautentzündung, Bronchitis, Lungenentzündung, Grippe. Die Leiterin der Tagesstätte sagte, das sei normal, weil sie mit so vielen anderen Kindern in Kontakt komme. Noch vor Thanksgiving hatte Natalie alle ihre freien Tage für Familienangelegenheiten und Pflegetage für das ganze Jahr aufgebraucht. Auch Dan nahm sich mitten in einem wichtigen Fall einen Tag frei, aber öfter als einmal konnte er das nicht machen.
    Als sie sich bei jemandem darüber ausweinen wollte, wie erledigt sie war, rief sie Dans Mutter und nicht ihre eigene an; schon während sie wählte, wusste sie, was das bedeutete, in welche Richtung sie tendierte.
    »Ich wünschte, ich hätte zu Hause bei meinen Kindern bleiben können«, sagte Leni, und diesmal hob sich ihre Stimme am Ende des Satzes nicht - und es war nicht die leiseste Andeutung einer Frage. »Ich hatte keine Wahl: Ich musste arbeiten! Wir hätten uns keine Aushilfe für das Geschäft leisten können. Aber wenn ich zu Hause bei meinen Jungs hätte bleiben können, hätte ich es getan.« Sie musste einen Moment lang den Hörer hinlegen - Dans Vater war schon gebrechlich und brauchte

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