Weil wir glücklich waren - Roman
bloß wieder um!«, schrie er. »Ich will dein beschissenes Gesicht nicht sehen.« Er krümmte sich, als bereite ihm mein Anblick wirklich Schmerzen. »Ich halte es nicht aus, dir ins Gesicht zu gucken. Ich kann Leute wie dich nicht ertragen. Unser braves Musterkind, was? Du verlogene Schlampe! Rennst jedes Mal zu Mommy und Daddy, wenn es Probleme gibt.« Er zeigte auf sich selbst. »So was kenne ich nicht. Ich stehe auf eigenen Beinen, seit ich fünfzehn bin. Total unabhängig.« Er schlug sich auf die Brust. »Scheißunabhängig. Mir hat keiner geholfen. Keiner.«
Seine Hand an seiner Brust zitterte leicht, und die Überzeugung in seinen Augen wirkte echt, aber etwas an seiner kleinen Rede erweckte den Eindruck, dass er sie - vielleicht mit genau denselben Worten - schon sehr, sehr oft gehalten hatte. Er hing darin fest, das merkte ich sofort. In so einer Rede kann man leicht stecken bleiben.
Meine Mutter nahm mir Bowzer ab. Ich sah Jimmy an, bis er den Blick abwandte.
»Lasst mich aus dieser Scheißkarre raus.« Er schlug mit der Faust ans Fenster.
Meine Mutter entriegelte das Schloss. Die Tür hinter mir glitt auf. Als auch Haylie ausstieg, drehten meine Mutter und ich uns beide nach ihr um. Ich weiß nicht, was wir erwartet hatten. Sie wohnte in dem Haus. Alle ihre Sachen waren darin. Sie schaute keine von uns beiden an, bevor sie Jimmy hinaus in den Regen folgte.
»Er hat immer noch dein Handy«, sagte ich. Ich wollte meine Tür aufmachen, aber meine Mutter hielt meinen Arm fest und zog mich zurück.
»Soll er doch.« Sie schaute über die Schulter, bevor sie aus der Einfahrt zurücksetzte. »Wenn es ihn glücklich macht, kann er es behalten. Ich brauche sowieso eine neue Nummer.«
»Er könnte damit telefonieren«, warf ich ein. Einerseits war ich ihr dankbar, andererseits schuldbewusst. Ich wäre gern zurückgegangen, um wenigstens zu versuchen, ihr Handy zu bekommen. »Du könntest die Rechnung aufgebrummt kriegen.«
»Klar. Ich mache mir ja solche Sorgen um meine Kreditwürdigkeit.«
Zuerst lächelte ich, doch dann hatte ich auch deshalb ein schlechtes Gewissen. Besonders komisch war das eigentlich nicht. Aber sie schien unbekümmert zu sein - nicht nur wegen des Handys, sondern auch wegen allem anderen -, als glaubte sie wirklich, was sie zu Jimmy gesagt hatte: Manchmal war das, was passierte, einfach nicht fair, aber irgendwann musste man seine Verluste abschreiben und weitermachen.
Sie fuhr mit gestrafften Schultern und nach vorne gerecktem Kinn. Bowzer balancierte sie wieder auf ihrem linken Arm.
»Danke«, sagte ich. »Danke für deine Hilfe.«
»Kein Problem.« Sie streckte eine Hand aus, um mein Bein zu tätscheln, wandte den Blick aber nicht von der Straße.
***
In meiner Erinnerung verschmelzen die Gespräche, die ich an diesem Abend mit Marley und Tim führte, miteinander. Was ein bisschen überraschend ist, weil sie - wenigstens rein optisch - ganz unterschiedlich waren. Als ich mit Marley sprach, stand sie in ihrer Tür und schaute mich aus kleinen, zusammengekniffenen Augen an. Tim und ich redeten in seinem Wagen, der direkt vor dem Wohnheim stand - selbst im Sitzen musste ich zu ihm aufblicken, weil er mit dem Kopf beinahe an die Decke stieß. Und er lächelte, weil er sich freute, mich zu sehen - jedenfalls am Anfang.
In beiden Fällen wurden meine Entschuldigungen nicht angenommen. In beiden Fällen versuchte ich, mein Verhalten zu erklären, und scheiterte. Aber keiner von beiden brüllte mich an oder wurde wütend. Im Gegensatz zu Jimmy waren sie nicht darauf erpicht, es mir heimzuzahlen. Sie wollten sich einfach zurückziehen und sich von mir fernhalten. Und das war ehrlich gesagt viel schlimmer.
Ich hatte vorgehabt, in meinem Zimmer mit Tim zu sprechen. Aber meine Mutter wollte sich kurz hinlegen und streckte sich mit Bowzer an ihrer Seite auf dem Gästebett aus, die Mütze bis über die Augen gezogen. »Nur ein kleines Nickerchen«, hatte sie gemurmelt, bevor sie einschlief, obwohl das goldene Licht der Nachmittagssonne noch durchs Fenster fiel. Zwei Stunden später schlief sie immer noch, und ich ging nach unten in die Lobby, um dort auf Tim zu warten.
Ich erzählte ihm sofort alles: was ich getan hatte; wie sehr ich wünschte, ich hätte es nicht getan; wie sehr ich ihn jetzt schon vermisste und wie viel Angst ich davor gehabt hatte, bei ihm einzuziehen. Er sagte gar nichts, legte seine Hände auf das Lenkrad und lehnte sich leicht nach vorne. Wir schauten einander in
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