Weil wir glücklich waren - Roman
sah dabei aus wie eine flehende Heilige in einem Arielle-T-Shirt. »Warum sind sie alle gestorben? Sogar die Moms? Und die Kinder? Hat es wehgetan?«
Natalie hätte beinahe gelacht, aber in dem Gesicht ihrer Tochter sah sie echten Kummer. Während der Zug vorbeibrauste, bemühte sie sich, Veronica davon zu überzeugen, dass es nicht so schlimm war, dass die Dinosaurier ausgestorben waren. Zum einen, erklärte sie, seien Dinosaurier nicht besonders nett gewesen. Manchmal hätten sie sich gegenseitig aufgefressen! Sie hätten scharfe Zähne und Krallen gehabt! Schlimmer noch, wenn sie nicht alle gestorben wären, hätten sie wahrscheinlich irgendwann auch Menschen gefressen. Sie versuchte, ihre Stimme munter und zuversichtlich klingen zu lassen.
»Sie mussten für uns Platz machen, Schätzchen, für alles Neue. Und jetzt haben wir Kohle! Und Öl, Süße. Damit fahren Autos!«
Aber als der Zug vorbeigefahren war und ihr Auto sich wieder mit aus toten Dinosauriern gewonnener Energie in Bewegung setzte, war Veronica immer noch untröstlich gewesen.
Natalie setzte sich auf das Gästebett und betrachtete die babyblauen Wände. Es war natürlich möglich, dass Vierjährige im Allgemeinen sensibel waren, nicht nur Veronica im Speziellen. Vielleicht war sie jetzt als Erwachsene ganz anders. Ihr Zimmer im Wohnheim war deprimierend kahl. Nur ein wissenschaftliches Poster hing an einer der Wände. An der Pinnwand war ein Kalender befestigt, neben dem Bild von ihrem hochgewachsenen Freund, der gerade einen Kopfstand machte. In den Regalen standen nur Bücher, Hefte und Ordner. Natalie schüttelte den Kopf. Sie würde nicht herumschnüffeln. Schließlich war sie Gast in diesem Zimmer. Genau genommen war sie mehr Gast, als sie Mutter war.
Selbst als Veronica noch zu Hause gewohnt hatte, hatte Natalie sich nur die mildeste Variante der Detektivarbeit erlaubt: Sie hatte sich die Romane ihrer Tochter ausgeliehen, zum Teil, weil sie die Bücher tatsächlich lesen wollte, zum Teil aber auch, damit sie sehen konnte, welche Zeilen Veronica unterstrichen hatte. Wenn Natalie sich mit einem Buch hinsetzte, las sie es einfach. Sie brauchte keinen Bleistift. Aber in Veronicas Exemplar von Verstand und Gefühl war fast auf jeder Seite etwas unterstrichen. Natalie schenkte diesen Stellen besondere Aufmerksamkeit, suchte nach ihrer Bedeutung: Auch wenn sie selbst Kummer litt, musste Elinor andere in ihrem Leid trösten. Es war bestürzend. Sah Veronica sich selbst so? Glaubte sie, jeden trösten zu müssen? Glaubte sie, ihre ... Mutter trösten zu müssen? Natalie überlegte. In den Jahren, nachdem ihre eigene Mutter gestorben war, als Dans Mutter im Sterben lag, hatte sie sich vielleicht zu sehr auf ihre jüngere Tochter gestützt. Und was war Veronicas Kummer? Hatte sie heimliche Sorgen, von denen ihre Mutter nicht einmal etwas ahnte? Andere unterstrichene Stellen wiederum machten sie ratlos: ... und doch ist etwas so Liebenswertes an den Vorurteilen eines jungen Menschen, dass man nur mit Bedauern sieht, wie sie der Aneignung allgemein gängiger Meinungen weichen. Was sollte das heißen? Es klang zynisch. Welche liebenswerten Vorurteile hatte ihre Tochter bereits abgelegt?
Wenn Natalie versuchte, ganz beiläufig über diese Stellen zu sprechen, zuckte Veronica nur die Achseln und sagte, sie habe sie interessant gefunden. Trotzdem begutachtete Natalie jetzt, allein im Zimmer ihrer Tochter, die Regale und stand auf. Sie fand fast nur wissenschaftliche Werke, aber auch ein paar Romane.
Als die Tür rasch geöffnet wurde, sprang sie vor Schreck zur Seite.
Veronica stand in der Tür. Ihr Gesicht war blass, ihre Augen traurig.
»Entschuldige«, sagte sie. »Ich hätte anklopfen sollen.« Ihre Augen waren auf einer Höhe mit denen ihrer Mutter, und ihr Haar war selbst jetzt - feucht von dem Regen und gelockt - lang genug, um auf die Schultern ihres grünen Pullovers zu fallen; trotzdem konnte Natalie deutlich das Kind in ihr erkennen, vor allem jetzt, als ihre Augen feucht glänzten. Ihr Gesicht hatte sich nicht so sehr verändert.
»Sei nicht albern, es ist dein Zimmer. Liebes? Du warst draußen? Ohne Mantel?«
»Ich war nur in einem Auto«, erklärte sie. »Ich bin rausgelaufen, um mit ... jemandem zu reden.«
Mit ihrem Freund, vermutete Natalie. Tom? Tim? Sie konnte sich nicht erinnern. Dafür gab es keine Entschuldigung. Wenn sie jetzt den falschen Namen sagte, war sie erledigt. Wenn Veronica das nächste Mal seinen Namen nannte,
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