Weil wir glücklich waren - Roman
gern von seiner Arbeit - von etwas Witzigem, das ein Klient gesagt hatte, von der Arroganz eines Richters. Er war ein guter Erzähler, und sie war eine höfliche und interessierte Zuhörerin, deshalb liefen die meisten ihrer Unterhaltungen so ab. Aber wenn sie versuchte, mit ihm zu sprechen und ihm von ihrem Tag zu erzählen - von ihren Gesprächen mit Handwerkern, Angestellten in der Reinigung oder Krankenpflegern -, gelang es ihr nie, seine Aufmerksamkeit zu fesseln. Sein Blick wanderte umher. Er fing an, etwas zu lesen, irgendetwas - den Text auf einer Cornflakesschachtel, alte Nachrichten auf seinem Handy. Wenn sie ihn darauf aufmerksam machte, entschuldigte er sich - und tat es wieder.
All das war ihr aufgefallen, als ihre Mutter im Sterben lag, aber sie war zu abgelenkt gewesen, um ernsthaft darüber nachzudenken. Und dann war ihre Mutter gestorben, und sie hatte Zeit zum Nachdenken gehabt, und sie war zu dem Ergebnis gekommen, dass es sie wirklich störte. Als sie an diesem Tag vom Einkaufen nach Hause fuhr, dachte sie wieder einmal daran. Als sie eintraf, war Dan schon da und kam raus, um ihr beim Tragen zu helfen. Veronica war bei einer Freundin und damit außer Hörweite. Und deshalb hatte sie ihn gefragt.
»Was?« Er trug Unterhemd und Jogginghose und die Lesebrille, die er mittlerweile brauchte. Er blinzelte sie über den Brillenrand hinweg an, als hätte er Mühe, sie zu sehen, obwohl sie nur ein paar Schritte entfernt stand. In einem Arm hielt sie eine Einkaufstüte, über dem anderen hing noch ihre Handtasche.
»Findest du mich interessant?« Sie verlagerte die Tüte auf den anderen Arm und konzentrierte sich darauf, sachlich zu sprechen, ohne jeden Vorwurf. Sie hatte nicht vorgehabt, einen Streit anzufangen, sondern wollte es einfach nur wissen. »Und wenn du an mich denkst, wenn du mich im Geist vor dir siehst, siehst du mich dann als eigenständige Person? Oder nur in Verbindung mit dir?«
Er nahm die Brille ab, rieb sich den Nasenrücken - und sagte absolut nichts. Es war das erste Mal in sechsundzwanzig Jahren Ehe, dass sie ihn sprachlos gemacht hatte. Er war zu überrumpelt, um auch nur zu nicken oder den Kopf zu schütteln.
»Ich hole die restlichen Einkäufe«, erwiderte er dann, als wäre das die Antwort auf die Frage, die sie gestellt hatte. »Pass auf, dass der Hund mir nicht nachläuft.« Er ging an ihr vorbei in die Garage. Sie blieb stehen, wo sie war, die Tüte mit Lebensmitteln immer noch auf dem Arm, einen Stangensellerie direkt vor ihrer Nase. Als er mit vier Tüten zurückkam, auf jedem Arm zwei, ging er mit großem Getue um sie herum zur Anrichte. Bowzer lief mit erhobenem Kopf hinter ihm her und schnupperte.
»Was ist?«, fragte er. Er sah sie nur kurz an, bevor er die Sachen abstellte. Dann nahm er eine Packung Eis aus einer Tüte und hielt sie sich vor seine Brille, vielleicht um die Inhaltsstoffe zu überprüfen.
»Ich habe dich etwas gefragt.« Ihre Stimme war ruhig, kein bisschen drohend. Aber sie hielt die Tüte mit Einkäufen wie einen Schild vor sich und wartete. Sein Zögern schien ihr ein schlechtes Zeichen zu sein.
Er bückte sich, um den Hund zu streicheln. Als er wieder zu ihr schaute, seufzte er, stand auf und lehnte sich - eine Hand an der Hüfte - an die Anrichte, und in diesem Moment sah er genauso aus wie seine Mutter. Es war mehr als nur der Schnitt des Gesichtes, die breite Stirn, die schmalen Lippen. Es waren seine Augen, sein Gesichtsausdruck. Gerade an diesem Morgen, als Natalie Lenis Zimmer im Pflegeheim betreten hatte, hatte ihre Schwiegermutter sie genauso angeschaut - verwirrt und ein bisschen ängstlich, bemüht, zu begreifen.
Sie wollte es ihm leichter machen. Tatsächlich war sie bereit, es ihm löffelweise zu verabreichen. »Dan«, fragte sie, immer noch ruhig und neutral. »Findest du mich klug und interessant?«
Er wirkte nervös.
Sie wandte den Blick ab und lachte.
»Sicher«, antwortete er.
Sie sah ihn wieder an. »Sicher was?«
»Sicher bist du das.« Er machte mit einer Hand kreisende Bewegungen vor seiner Brust. »Und natürlich bist du eine eigenständige Person.«
»Liebst du mich noch?«
Damit hatte er kein Problem. Er nickte nachdenklich, die Unterlippe leicht vorgeschoben. Es war der Gesichtsausdruck von jemandem, der gerade gefragt worden ist, ob ein bestimmtes Gericht in einem Restaurant zu empfehlen sei.
Er merkte, wie sie ihn ansah, und verdrehte die Augen. »Wir sind schon lange verheiratet«, kommentierte er und
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