Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Weil wir glücklich waren - Roman

Weil wir glücklich waren - Roman

Titel: Weil wir glücklich waren - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
Vom Netzwerk:
in Piratenfilmen mitspielen und nicht mitten unter uns in einem Studentenwohnheim in Kansas leben. Im August, als alle eingezogen waren, war es in der Halle so heiß und so voll gewesen, dass ein paar Jungs und sogar einer der Väter ihre Hemden ausgezogen hatten, als sie zusammengerollte Teppiche und Multimediasessel aus den Autos und Lastwagen holten. Aber als Clyde-vom-dritten-Stock, der gerade mit einem großen Topf-Feigenbaum auf einen Fahrstuhl wartete, sein Hemd auszog, stieß eine lächelnde Mutter ihre Tochter mit dem Ellbogen an und raunte ihr zu: »Guck dir den Adonis da drüben mal an!« Schon eine Woche später war sein richtiger Name genauso bekannt wie das Stockwerk, in dem er wohnte. Zwei Wochen später, als ich mir gerade die Zähne putzte, hörte ich, wie ein Mädchen unter der Dusche einem anderen erzählte, dass Clyde-vom-dritten-Stock nicht nur bildschön sei, sondern im Hauptfach Kunst studiere und noch dazu ein tapferer Umweltschützer sei. »Er hat sich an einen Baum gekettet«, rief sie mit ehrfürchtiger Stimme über den Duschvorhang. »Er ist also total schön und hat echt Tiefgang.«
    Seine Stimme war auf jeden Fall tief. »Hi«, sagte er jetzt, als sich die Fahrstuhltür hinter ihm schloss. Auf seinem T-Shirt stand 5K-Lauf gegen Krebs, und es schmiegte sich eng an seine schlanke, geschmeidige Gestalt. Er warf einen Blick in Gretchens Richtung, aber er lächelte mich an. Irgendwann im September war Clyde-vom-dritten-Stock zu meiner Verwirrung dazu übergegangen, mich mit freundlicher Wärme zu betrachten und mir so lange in die Augen zu schauen, dass ich mir schon Sorgen machte, ob wir uns vielleicht von früher, von zu Hause, kannten. Aber an ein Gesicht wie seines hätte ich mich bestimmt erinnert, auch wenn er damals zwei Jahre jünger als heute gewesen wäre.
    »Hallo«, sagte ich mit einer Stimme, die genauso benommen und erfreut klang, wie ich mich fühlte. Ich sagte bloß Hallo. Tim sagte bestimmt auch zu anderen Mädchen Hallo. Und manche Leute sind eben einfach attraktiv. Das heißt nicht, dass man nicht Hallo zu ihnen sagen kann. Er lächelte weiter, also lächelte ich auch. Nichts dabei. Hier war jemand, der freundlich sein wollte. Ich sollte genauso freundlich sein. Seine Unterarme, die irgendwie immer noch gebräunt waren, waren mit weißer Farbe bespritzt, ebenso wie seine Jeans und sein T-Shirt. Gretchen und ich beobachteten beide, wie er zur Tür des Männerflügels ging. Als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel, drehte sie sich zu mir um.
    »Was war das?«
    Ich lächelte immer noch. »Was war was?«
    Sie sagte nichts. Sie war verstimmt.
    »Ich weiß nicht.« Ich schüttelte den Kopf. »Ich kenne den Typen nicht mal.«
    »Jeder kennt ihn.« Wieder starrte sie die Tür zum Männerflügel an. »Und er hat dir schöne Augen gemacht.«
    »Glaub ich nicht.« Ich lachte und schüttelte den Kopf. Aber der Gedanke war schmeichelhaft, vor allem, weil ich neben Gretchen gesessen hatte, die blond war und im Moment ein tief ausgeschnittenes T-Shirt mit aufgedruckten lächelnden Lippen trug. Aber er hatte mich angesehen. Nicht dass es von Bedeutung gewesen wäre. Ich hatte einen Freund. Ich war verliebt in meinen Freund.
    Ich blickte wieder in mein Buch. Ein Molekül ist achiral, wenn es eine Achse uneigentlicher Drehung hat; das heißt, eine n-fache Drehung gefolgt von einer Spiegelung führt auf einer Molekülebene zur Selbstabbildung. Der Auftrieb, den mir Clydes Lächeln verschafft hatte, flaute bereits ab.
    Gretchen pikste mich in den Arm. »Und? Was hast du vor? Wirst du versuchen, mit ihm zu sprechen?«
    Nur eine Sekunde lang war ich verwirrt. »Mit Clyde?« Ich schaute wieder zum Männerflügel. »Nein«, sagte ich. »Ich habe einen Freund.«
    Sie warf mir einen mitleidigen Blick zu. »Du bist nicht verheiratet. Noch nicht.«
    »Aber ich bin glücklich.« Ich lächelte und pikste zurück. Es war die Wahrheit und in meinen Augen die richtige Antwort. Aber ich konnte mir vorstellen, dass sie es anders sah. Als ich auf der Highschool gewesen war, hatte ich immer nur für höchstens zwei Monate einen festen Freund gehabt. Fast bemitleidete ich die Mädchen, die in der achten Klasse anfingen, mit einem Jungen Händchen zu halten und dieselbe Hand bei ihrem Schulabschluss immer noch hielten - ich fühlte mich ihnen sogar ein bisschen überlegen. Den Gedanken, die große Liebe mit vierzehn kennenzulernen, fand ich irgendwie beklemmend. Und vielleicht war es nicht fair, aber ich nahm

Weitere Kostenlose Bücher