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Weil wir glücklich waren - Roman

Weil wir glücklich waren - Roman

Titel: Weil wir glücklich waren - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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dem Waschbecken gefunden hatte, mit dem Ergebnis, dass zwischen Herd und Espressomaschine nun ein dicker, schmieriger Streifen verlief. Schlimmer noch war das Blut von Gretchens Finger, das irgendwie auf einen der weißen Vorhänge im Wohnzimmer gelangt war.
    »Oh nein«, stöhnte ich.
    Gretchen kauerte am Treppenabsatz und bemühte sich, die Pflanze so gut wie möglich wieder einzutopfen. »Dein Handy hat geklingelt, als du unter der Dusche warst.«
    Ich zog es aus der Hosentasche. Meine Mutter hatte noch einmal angerufen. Ich machte das Handy aus und steckte es wieder ein.
    Gretchen schaute mich unverwandt an. Ihre Hände waren voller Erde, und die umgekippte Pflanze stand neben ihren Knien.
    »Was ist?«
    Sie zog die Augenbrauen hoch.
    »Es war nicht Tim.«
    »Okay«, sagte sie, schaute mich aber weiter an. Ich wandte den Blick zuerst ab - und machte die Augen zu, damit ich das Chaos ringsum nicht sehen musste: den umgestoßenen Sessel, die Kippen, die in Plastikbechern schwammen. Doch Gretchen schien gelassen zu sein, und das wirkte beruhigend. Die Party und meine unglaublich kurze Affäre mit Clyde waren in ihren Augen wahrscheinlich ziemlich lahm. Sie ging auf Partys, wo die Leute im Badezimmer Kokain schnupften und in den Gästezimmern Sex mit Fremden hatten, ohne sich viel dabei zu denken. Aber ich nicht. Ich war es nicht gewohnt, aufzuwachen und mich elend, krank und beschämt zu fühlen. Für mich bedeutete das einiges, und Tim würde das wahrscheinlich genauso sehen. Ich musste bald etwas essen. Mir war schlecht.
    Ich kniete mich neben Gretchen auf den Boden und schaufelte mit den Händen Erde. »Ich muss es ihm sagen«, stellte ich fest. »Vorher.«
    Sie nickte und packte weiter Erde in den Topf. »Das wäre wohl rücksichtsvoller.«
    »Er wird mit mir Schluss machen.«
    Ich wartete darauf, dass sie mir sagte, dass das nicht unbedingt passieren müsse. Doch sie sagte nichts dergleichen. Rings um mich herum war Erde in den hellen Teppichboden getreten worden.
    »Tja«, kommentierte sie schließlich. »Vielleicht wolltest du ja genau das.«
    Ich verstand, was sie meinte. Schließlich hatte ich meine bescheuerte Aktion vor Publikum durchgezogen. Was hatte ich mir dabei bloß gedacht? Sie hatte recht. Ein Teil von mir, der verängstigt und unsicher war, hatte die Sache mit Tim vermasseln wollen. Aber nicht alles von mir. Nicht jetzt.
    Ich stopfte die Erde in den Topf und klopfte sie um den Stamm herum fest. Die Pflanze hatte bei dem Sturz gelitten - eines ihrer langen Blätter hing herunter wie ein gebrochener Arm. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass ich all die Erde aus dem Teppichboden herausbekam. Ich guckte nach oben an die hohen Decken. Es roch nach kaltem Rauch.
    »Ich glaube, ich habe echt Mist gebaut«, gab ich zu.
    Ich hatte Angst, sie würde lachen. Sie konnte mein Gesicht und meine Stimme nicht immer richtig deuten. Manchmal dachte sie, dass ich es ernst meinte, wenn ich Spaß machte. Und umgekehrt. Aber ich muss so elend ausgesehen haben, dass selbst sie wusste, dass sie jetzt nicht lachen durfte. Sie tätschelte einfach meinen Arm, dann machten wir weiter.
    Als wir fertig waren, trugen wir die Pflanze die Treppe hinauf und stellten sie wieder auf ihren Blumenständer aus Gusseisen. Wir traten zurück und begutachteten sie unsicher. Es war okay. Wir hatten genug Erde um den Stamm gepackt, sodass er aufrecht stand, und nur ein paar der langen Blätter sahen ein bisschen schief aus. Ich wusste nicht, um was für eine Art von Pflanze es sich handelte. In meinem Physiologiekurs im vorigen Semester hatten wir alle möglichen Arten - Moose, Pilze, Laub- und Nadelbäume - untersucht, Stängel und Staubgefäße seziert und unter dem Mikroskop Zellulose angeschaut. Die Prüfungen waren schwer gewesen, aber mir hatte der Stoff gefallen. Seit ich eine ungefähre Ahnung davon hatte, was alles im Inneren einer Pflanze vor sich ging - das Xylem und Phloem, die ständige, perfekt funktionierende Regeneration -, betrachtete ich jede Art von Gewächs mit mehr Ehrfurcht und Respekt. Selbst an jenem schmerzlichen, deprimierenden Morgen war ich tief beeindruckt davon, dass Jimmys Pflanze den Sturz die Treppe hinunter überlebt hatte. Sie war noch am Leben, ihre glänzenden Blätter streckten sich, und unter all dem stillen Grün arbeitete sie hart und wuchs weiter.
    Mein Vater und ich bekamen einen Tisch in einer Fensternische. Auf der Glasscheibe stand in Neonleuchtschrift YA'LL COME ON IN! in einer Sprechblase

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