Weil wir glücklich waren - Roman
würdest.« Sie griff in die Vordertasche ihrer Jeans und zog ein kleines Stück Papier heraus. »Clyde hat mich gebeten, dir seine Nummer zu geben.«
Ich ignorierte den Zettel, und sie ließ ihn aufs Bett fallen. Dann zog ich meine Knie hoch und vergrub mein Gesicht in meiner Jacke. Am liebsten wäre ich in den dunklen, warmen Wollstoff hineingekrochen, irgendwie darin versunken. »Was ist passiert?«
»Das wollte ich dich eigentlich fragen.«
Sie lachte. Als ich nicht mitlachte, hörte sie auf.
»Nichts ist passiert«, beruhigte sie mich. »Er kam runter und sagte zu mir, dass du eingeschlafen seist. Ich glaube, du hast seine Gefühle verletzt. Stell dir vor.« Sie beugte sich vor und knuffte mich leicht in die Schulter. »Clyde-vom-dritten-Stock. Der Märchenprinz. Und du hast seine Gefühle verletzt. Das wird dich berühmt machen.«
Ich blickte auf. »Die anderen haben es mitbekommen?«
Sie nickte langsam, mit hochgezogenen Augenbrauen.
Ich wandte den Blick ab. Ich wusste das alles, so betrunken war ich nicht gewesen. Aber eigentlich hatte ich keine andere Erklärung. Was mir gestern Abend noch völlig logisch und folgerichtig erschienen war, war auf einmal weder das eine noch das andere. Ich starrte auf eins von Jimmys gerahmten Bildern: ein Aquarell einer abgetrennten Hand.
»Ich mache uns Kaffee«, sagte Gretchen und wandte sich zur Treppe. »Geh unter die Dusche, wenn du willst. Aber mach dich auf etwas gefasst. Wir haben einiges an Aufräumarbeiten vor uns.«
Ich versuchte aufzustehen, aber die Luft schmeckte wie abgestandenes Bier, und mein Magen rebellierte so lange, bis ich mich schließlich wieder hinsetzte. Ich angelte nach meinem Handy und überprüfte meine Nachrichten. Die erste war von meiner Mutter.
»Ich möchte mich entschuldigen.« Ihre Stimme war rau, und sie hielt inne, um zu schniefen. »Ich habe mit Elise gesprochen, und ich bin sehr wütend auf mich selbst, weil ich gestern einfach aufgelegt habe. Wenn du mich bestrafen willst, meinetwegen. Aber bring es hinter dich, Veronica. Okay? Geh ans Telefon.«
Die Leute haben immer behauptet, dass meine Mutter und ich am Telefon genau gleich klängen. Aber ich fand das nicht. Auf keinen Fall wollte ich mich so weinerlich und zittrig anhören, wie sie jetzt klang. Aber als ich noch zu Hause wohnte, wurden wir oft verwechselt. Manchmal passierte es sogar meinem Vater, wenn er anrief, um ihr zu sagen, dass er länger im Büro bleiben müsse.
Ich löschte den Anruf und drückte dabei fester als nötig auf die Taste.
Tim hatte kurz nach Mitternacht eine Nachricht hinterlassen. Er war mit den jüngeren Mitgliedern seiner weitläufigen Familie in einer Bar. Chicago sei total vereist, erzählte er. Er habe gehört, dass das Wetter bei uns auch ziemlich schlecht sei, und ich möge ihn doch bitte anrufen, um ihm zu sagen, ob bei der Fahrt zum Flughafen alles gut gegangen war.
Ich hockte im Schneidersitz auf dem Bett, mit hängenden Schultern, das Handy dicht an meinem Ohr. Als ich aufsah, erhaschte ich einen Blick auf mein Spiegelbild in Jimmy Liffs gerahmtem Spiegel. Ich sah blöd aus. Buchstäblich. Mein Mund stand offen, und meine Augen waren glasig. Vielleicht war ich ja tatsächlich blöd, nicht nur in Chemie, sondern im Leben im Allgemeinen. Zumindest war ich jemand, der trotz aller ängstlichen Bemühungen und Zweifel dumme Sachen machte.
Die letzte Nachricht war wieder von meiner Mutter. Sie hatte heute Morgen noch einmal angerufen. Sie klang nicht mehr so, als ob sie weinte.
»Veronica«, sagte sie. »Menschen machen Fehler.« Dann kam eine so lange Pause, dass ich dachte, die Nachricht wäre zu Ende. War sie aber nicht. »Ich bin immer noch deine Mutter«, fügte sie hinzu, genau drei Mal, als wäre es ein Mantra, das sie für sich selbst rezitierte.
***
Innerhalb einer halben Stunde war ich geduscht und wieder angezogen, immer noch ein bisschen angeschlagen, aber halbwegs präsentabel. Das Haar hatte ich zu einem munteren Pferdeschwanz gebunden, der mich, wie ich hoffte, insgesamt ein bisschen aufheitern würde. Aber nach einer kurzen Runde durch das Erdgeschoss fühlte ich mich überhaupt nicht mehr munter. Gretchen hatte recht: Es sah schlimm aus! Flaschen, Dosen und Plastikbecher lagen auf jeder verfügbaren Oberfläche. Auf der Treppe war eine große Topfpflanze umgekippt. Auch in der Küche gab es ein Problem: Gretchen hatte versucht, die Edelstahlflächen in der Küche mit einem Spray zu reinigen, das sie im Badezimmer unter
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