Weil wir glücklich waren - Roman
Semesters nicht verkauft, was angesichts der Tatsache, dass er nicht ein einziges der Stücke, die wir durchgegangen waren, gelesen zu haben schien, interessant war. Aber er hatte eine nette kleine Bibliothek, gleich hier in Reichweite der Couch. Vonnegut. Plato. Emily Brontë. Ginsberg und Burroughs. Plath. Die Buchrücken der gebundenen Ausgaben knarrten beim Aufschlagen, und die Seiten wirkten unberührt. Es gab vier Bücher von Toni Morrison, und in Sehr blaue Augen steckte ein schmaler Band von CliffsNotes Lektüreschlüsseln. Am anderen Ende des Regals entdeckte ich Jane Eyre. Ich hatte es in meinem ersten Collegejahr im Literaturkurs gelesen, den eine Doktorandin mit flammend rotem Haar und Nickelbrille hielt, die uns schon am ersten Tag mitteilte, dass die Leseliste von dem Institut für Anglistik zusammengestellt worden und die Lektüre ganz und gar nicht das sei, was sie ausgesucht hätte. Sie würde zumindest versuchen, die Bücher für uns sowohl in einen marxistischen als auch in einen feministischen und einen postkolonialen Kontext zu bringen. Am ersten Tag hatte sie mir Angst gemacht, aber schon bald mochte ich sie als Lehrerin gern, obwohl sie und ich zeitweise nicht zusammenkamen, als die Klasse anfing, Jane Eyre zu lesen. Ich liebte das Buch. Jane war mit all ihrem Scharfsinn und Mut eine wahre Heldin, fand ich, und ich glaubte an die Liebe, die sich zwischen ihr und Rochester entwickelte. Die Doktorandin hingegen war der festen Überzeugung, dass es sich bei Jane Eyre keineswegs um eine Liebesgeschichte handelte. Sie gab uns einen Zeitungsartikel, in dem argumentiert wurde, dass Jane am Ende des Buches - als sie die Ehefrau des alten, blinden Rochester wird - nicht mehr als sein Blindenhund sei, eine Untergebene, deren Aufgabe es sei, den kolonialen, patriarchalischen Status quo aufrechtzuerhalten. Ich glaubte keine Sekunde lang daran, und ich war so empört, dass ich meine Englischnote riskierte - meine einzige sichere Eins in dem Semester -, um Jane in meiner Hausarbeit zu verteidigen. Ich schrieb, Jane sei nicht Rochesters Blindenhund, sondern seine gleichberechtigte Gefährtin. Die Gesellschaft mochte die beiden als Herrn und Untergebene abstempeln, aber nach ihrem eigenen Verständnis seien sie einander ebenbürtig, weil er sie liebte und sie ihn liebte - dafür gebe es im Text mehr als genug Hinweise.
Die Doktorandin war fairer, als ich es erwartet hatte. Sie gab unsere Arbeiten einen Monat später zurück, und auf meiner stand:
Ihre Kultur hat Sie einer Gehirnwäsche unterzogen. Und Sie irren sich. Aber Sie können schreiben.
An diesem Abend las ich auf Jimmys Couch Jane Eyre fast komplett und dachte dabei an das Blindenhund-Argument. Ich hatte nicht vorgehabt, so lange zu lesen. Ich blätterte einfach immer weiter. Es hatte etwas Tröstliches, sich mit jemandem zu beschäftigen, der echte Sorgen hatte: Jane, mit ihrem eingeengten Leben in einem anderen Jahrhundert. Sie lebte in einer viel trostloseren Welt als ich, und ihre Möglichkeiten waren weniger und weit begrenzter. Dazu kam die vertraute Freude an einer guten Handlung, die allmähliche Enthüllung des Charakters, der Probleme und der Gedanken einer Person; eine aus Worten erschaffene Welt, in die man eintauchen konnte.
Am nächsten Morgen wachte ich auf der Couch auf, neben mir auf dem Fußboden Jane Eyre. Sonnenlicht fiel durch die dünnen Wohnzimmervorhänge. Im Wohnheim war es morgens immer laut. Ständig wurden Türen geöffnet und zugeworfen, lachte jemand auf dem Flur, dröhnte irgendwoher Musik oder schrillte ein Wecker in einem leeren Zimmer. Aber hier im Haus war es still und friedlich. Als ich in die Küche schlenderte, war ich trotz der seifenverschmierten Arbeitsfläche und der verdreckten Böden glücklich, aber dann fiel mein Blick auf die kleine Digitaluhr neben dem Herd. Es war fast elf. Jimmy und Haylie würden gegen vier zurück sein.
Ich rannte panisch im Kreis herum und sammelte Dosen und Becher auf. Meine nackten Fußsohlen blieben am Küchenboden kleben. Dort, wo die Topfpflanze umgefallen war, lag Erde auf dem Teppichboden. Das Blut auf dem Vorhang. Haylies Klamotten, die Boa, die Schuhe. Der schwache, aber unverkennbare Geruch von Zigaretten im Wohnzimmer. Die Plastiktüte voller Aludosen, die Gretchen eigentlich hätte mitnehmen sollen. Ich wusste nicht, was ich damit machen sollte, weil ich kein Auto und keine Möglichkeit hatte, sie verschwinden zu lassen, bevor Jimmy und Haylie zurückkamen. Wieder
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