Weil wir glücklich waren - Roman
ehrlich.«
Er zog scharf die Luft ein. »Ich wusste es«, seufzte er. »Ist doch komisch, oder? Ich wusste es in dem Moment, wo ich von dem schlechten Wetter hörte.«
»Was soll das heißen?«
»Häh?« Er war verwirrt. Ich konnte mir vorstellen, was für ein Gesicht er machte, wie er seine dunklen Augenbrauen nach unten zog.
»Du bist davon ausgegangen, dass ich das Auto bei schlechtem Wetter zu Schrott fahre?« Meine Hände waren verkrampft, und ich drückte aus Versehen auf eine Taste meines Handys. »Du hast es schon gewusst, als die Straßen ein bisschen rutschig wurden? Du schaffst es bis Chicago, aber du hast gewusst, dass ich armes Ding es nicht einmal vom Flughafen nach Hause schaffen würde? Richtig?«
»Was?« Er fing an zu lachen, hörte aber sofort wieder auf. »Veronica. So habe ich das nicht gemeint. Ich habe mir einfach Sorgen gemacht. Ich habe gehört, dass es wirklich schlimm mit dem Glatteis war. Ich hätte mir um jeden Sorgen gemacht, der bei diesem Wetter Auto fahren muss. Aber natürlich besonders um dich, weil du meine Freundin bist.« Er machte eine Pause. »Bist du okay?«
»Ich bin keine schlechte Fahrerin.«
»Das weiß ich.« Wieder eine Pause. »Aber das habe ich auch nie gesagt, Veronica. Ich habe nur gesagt, dass ich mir Sorgen gemacht habe.«
Seine Stimme klang liebevoll. Ich war ein schlechter Mensch. Eine Lügnerin. Allein der Umstand, dass ich Clyde mit keinem Wort erwähnte, machte mich zu einer Lügnerin.
»Bist du verletzt?«
»Nein.« Ich rieb mir den Nacken. »Ein bisschen angeschlagen vielleicht.« Ich schaute auf das Display meines Handys. Keine weiteren neuen Nachrichten. Meine Mutter hatte aufgegeben.
Er wollte Näheres wissen. Er wollte wissen, wie ich nach Hause gekommen war und ob ich es Jimmy schon gesagt hätte. Je besorgter er klang, desto mieser fühlte ich mich. Ich wich seinen Fragen aus und lenkte ab. Schließlich sagte ich - und das war keine Lüge -, dass ich müde sei. »Ich erzähle dir alles, wenn du wieder da bist«, ergänzte ich. »Die ganze Geschichte.« Ich wandte mich vom Spiegel ab und legte mich wieder auf das Bett.
Er käme Sonntagabend zurück, sagte er, aber spät. Und er habe Montag den ganzen Tag Unterricht. Wir könnten uns am Montagabend sehen. Er wisse, dass ich eine Prüfung vor mir hätte, aber er wolle mit mir irgendwo schön essen gehen. Um sieben würde er mich abholen.
»Komm einfach auf mein Zimmer«, bat ich ihn. Schuldgefühle hin oder her, ich musste strategisch denken und es ihm in meinem Zimmer sagen. Ich konnte nicht warten, bis wir in seinem Auto saßen, und es ihm dann erzählen. Und auf keinen Fall wollte ich es ihm in irgendeinem Restaurant sagen. Ich hatte keine Lust, schon wieder irgendwo zu stranden - eine unglückliche Beifahrerin im Auto eines anderen, zu weit von zu Hause entfernt, um auszusteigen und zu Fuß zu gehen.
Ich beschloss, am nächsten Morgen aufzuräumen. Ich würde früh aufstehen und dann mit klarem Kopf und frischer Energie das Haus in Ordnung bringen, lange bevor Jimmy und Haylie wieder da waren. Noch vor acht hatte ich die Pflanzen besprüht und meinen Schlafanzug angezogen. Mit ausgestreckten Beinen saß ich auf der Couch, auf meinem Schoß die übrig gebliebenen Kartoffeln aus dem Restaurant und mein Chemiebuch. Ich war immer noch eine gute Studentin. Ich war kein völlig anderer Mensch.
Und tatsächlich studierte ich mindestens eine halbe Stunde lang eifrig Diagramme von Benzolmolekülen, die sich mit ihren kleinen Armen bei anderen Benzolmolekülen einhängten. Ninhydrin und MDMA sind farblos, während das Reaktionsprodukt rot ist, da weder Ninhydrin noch MDMA über eine ausreichende Menge an konjugierten p-Orbitalen für eine HOMO-LUMO-Lücke verfügen. Ich arbeitete mich durch zwei Beispielfragen und erwog, die dritte in Angriff zu nehmen. Zehn Minuten vergingen. Zwanzig. Es war noch nicht mal neun. Früh genug, um Tim anzurufen und ihm alles zu sagen und wenigstens keine Lügnerin mehr zu sein.
Konzentrier dich! Ich schaute noch einmal das Benzoldiagramm an. Ich las noch einmal die Gleichung. Ich schloss die Augen. Ich machte sie auf. Ich warf einen Blick auf die Uhr. Ein einzelnes, mit Büchern vollgestelltes Regalbrett hing hinter der Couch an der Wand, auf beiden Seiten von zähnefletschenden Monstern bewacht, die an gotische Wasserspeier erinnerten. Der Titel Die gesammelten Werke von William Shakespeare stach mir ins Auge. Offensichtlich hatte Jimmy seine Ausgabe am Ende des
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