Weil wir glücklich waren - Roman
meinen Wangen, meine Wangen heiß unter meinen Händen.
»Liebes«, sagte meine Mutter. Sie sprach mit Marley. »Du musst nicht gehen.« Sie warf mir einen harten Blick zu. »Oder ich komme mit, wenn du gehen willst.«
Marley schüttelte den Kopf. »Ich wollte sowieso gehen. Ich habe Unterricht.« Sie sah mich voller Trauer oder Hass - oder vielleicht auch beidem - an und rannte an mir vorbei auf den Flur.
Als ich endlich wieder aufblickte, hatte meine Mutter den Kopf leicht von mir abgewandt. Sie trat einen kleinen Schritt zurück und betrachtete mich aus den Augenwinkeln, wie ein Vogel - so, als könnte sie es nicht ertragen, mir direkt ins Gesicht zu sehen. Ich ging zu meinem Schreibtisch, machte meine Tasche auf und fing an, Bücher herauszuholen.
»Was ist mit dir los?«
Ich sagte nichts. Es war eine Frage, auf die es zu viele Antworten gab. Wo soll ich beginnen? Wo nur, wo soll ich beginnen? Ich wusste nicht, womit ich mich beschäftigen sollte. Also legte ich drei Stifte nebeneinander und zog meine Chemiebücher zu mir, bis sie mit der Schreibtischkante abschlossen. Dann sah ich auf die Uhr. Es war bereits nach eins, und es regnete immer noch stark. Doch es war mir egal. Jimmy Liff war mir egal.
»Antworte mir.« Meine Mutter beugte sich vor. Sie versuchte, mir in die Augen zu schauen. »Du hast kein Recht dazu, so mit ihr - mit irgendjemandem - zu sprechen. Verstehst du? Veronica! Hörst du mir zu?«
Mit den Fingerspitzen berührte sie leicht meinen Arm. Als ich mich nicht rührte, setzte sie sich ans Fußende meines Bettes.
»Liebes?«, fragte sie mit leiser, ein bisschen unsicherer Stimme. »Nimmst du ... nimmst du Drogen?«
Ich musste tatsächlich lachen, nur eine Sekunde lang, aber der Druck ließ Tränen in meine Augen schießen. Ich spähte zu ihr hinüber. Sie lachte nicht.
»Nein«, antwortete ich.
»Was ist es dann? Wie um alles in der Welt konntest du dich so benehmen? Wie konntest du sagen, dass du nicht ihre Mutter bist, wenn sie ihre gerade verloren hat? Was stimmt nicht mit dir?«
Ich blickte auf. Einen Moment lang dachte ich wirklich, sie würde meinen, dass Marley ihre Mutter verloren hätte, weil sie ihr Zuhause verlassen hatte, um aufs College zu gehen. Das, was ich gesagt hatte, war doch gar nicht so schlimm. Meine Mutter reagierte übertrieben, wenn sie mich so wie jetzt anschaute.
Ich schüttelte den Kopf. »Ich ... Was meinst du?«
»Ihre Mutter ist im Frühjahr gestorben. Krebs.« Sie hob ihre Hände und hielt ihre Handflächen nach oben, als hielte sie etwas Rundes, Zerbrechliches darin. »Wieso weißt du das nicht?«
Ich starrte auf den Boden, auf die Tüte mit den M&M's. Dann sah ich wieder zu meiner Mutter. Ich versuchte, mich daran zu erinnern, was Marley mir über ihre Mutter erzählt hatte. Sie spielte Klavier. Sie gab Stunden außer Haus und begleitete den Kirchenchor. Diese Details hatten es irgendwie in mein Langzeitgedächtnis geschafft. Wenn ich also gehört hätte, dass sie an Krebs gestorben war, hätte ich mir das bestimmt auch gemerkt.
»Was?«, fragte ich. »Warum schaust du mich so an? Woher hätte ich es wissen sollen, wenn sie es mir nicht erzählt hat?«
Aber in Wirklichkeit war mir klar, dass ich mich gerade selbst übertroffen hatte. Von all den Dummheiten, die ich seit Freitagmorgen gemacht hatte - das Auto, die Party, Clyde-vom-dritten-Stock -, war das, was ich zu Marley gesagt hatte, am beschämendsten, der Fehler, an den ich mich am längsten erinnern würde.
Meine Mutter verschränkte die Arme. »Sie hat es mir nach ungefähr zehn Minuten erzählt. Wie lange hat dein längstes Gespräch mit ihr gedauert?«
Bowzer wachte auf und begann, sich mit der Hinterpfote am Kinn zu kratzen. Die Bewegung ließ mein ganzes Bett vibrieren, und die Matratze wackelte im Rahmen. Am liebsten wäre ich aufgestanden und hätte mich neben ihn gelegt - so wie früher, als er noch ein Welpe und ich ein kleines Mädchen gewesen war. Ich wollte mein Gesicht an sein Fell drücken und ihn hinter den Ohren kratzen, bis er vor Behagen schnaufte und nicht mehr an seine schmerzenden Knochen dachte. Vielleicht würde mir sogar meine Mutter niemals verzeihen. Sie würde mich vielleicht noch lieben, aber sie würde nicht mehr dasselbe von mir denken. Sie liebte Elise auch, aber aus anderen Gründen. Ich war immer die Nette gewesen.
»Ist es nicht dein Job, dich um die Studienanfänger in deinem Stockwerk zu kümmern? Veronica, das Mädchen stirbt vor Einsamkeit. Erzähl
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