Wein & Tod - ein Mira-Valensky-Krimi
Pachtvertrag ist offenbar ausgelaufen. Ich sollte mit Wächter, dem Verpächter, sprechen. Sicher ist auch er hier, alle sind sie gekommen. Egal, ob sie ihn zu Lebzeiten gemocht haben, ob sie über ihn geschimpft haben, ob sie neidisch waren oder froh, sich selbst nicht so viel aufgehalst zu haben. Der Tod macht alle gleich, heißt es. Wenigstens für eine knappe Stunde ist es egal, was sich vorher oder nachher abspielt. Er war einer von ihnen. Man zieht in die Kirche, ich bleibe nahe dem Ausgang stehen. Auch hier Ordnung und Zeremoniell, jeder weiß, welcher Platz ihm zusteht. Neben mir fast ausschließlich Männer, die meisten Frauen sitzen weiter vorne. Die Kirche ist überfüllt. Der Pfarrer beginnt mit der Messe, ich lasse meinen Blick schweifen, sehe auf viele Rücken und Hinterköpfe und frage mich: Ist der Mörder auch gekommen? Haben wir ihn vielleicht in Aichinger schon gefunden? Der Junior scheint der noch Bösartigere zu sein. Zu behaupten, dass Eva Berthold selbst … Was soll sie denn tun, als das Ruder in die Hand zu nehmen? Wann hat sie Zeit, zu weinen? Er habe sie öfter als einmal betrogen. Mit wem? Wirkt eine der Frauen hier besonders getroffen? Ich kann es nicht ausmachen. Warum auch mit jemandem aus dem Ort? Ich erinnere mich wieder an seinen tiefen Blick damals in der Nacht, im Weinkeller. Ob Eva immer auf ihn aufgepasst hat?
Die Messe dauert und dauert, in der alten Kirche ist es zugig und kalt. Ich steige von einem Fuß auf den anderen, weiß nicht mehr genau, nach welchem Schema eine Messe abläuft. Als Kind bin ich mit meinen Eltern jeden Sonntag in die Kirche gegangen. Mein Vater hat es wohl mehr aus politischem Opportunismus getan, meine Mutter hingegen ist auf eine Art gläubig, die mich ratlos macht, hingebungsvolles römisch-katholisches Sektierertum. Der Sarg im Mittelgang. Auch ich trauere um Hans Berthold, aber ich werde trotzdem nervös. Wieder wird ein Lied angestimmt, langsam und gezogen singt die Gemeinde, als ob das Lied von Leiden, Flehen und Tod sonst zu fröhlich wirken könnte. Ich lehne mich an die Säule mit dem Weihwasserbehälter. Gehet hin in Frieden …
Endlich wieder hinaus ins Freie, nicht nur mir scheint die Zeit lang geworden zu sein, alles drängt hinaus ins Licht, leise Gespräche da und dort, sogar ein eilig unterdrücktes Lächeln. Die beiden Frauen vor mir haben die Köpfe zusammengesteckt. Ich schnappe ein Wort auf: „umbringen“, nähere mich so weit, wie es gerade noch zulässig ist.
„Ach was“, höre ich die mit den dünnen grauen Haaren und dem dunkelblauen Mantel antworten, „das bringt die Rosen nicht um, wenn man sie erst jetzt schneidet, sicher nicht.“
Die Aichingers starren zu mir herüber, neben den beiden Männern geht jetzt eine Frau, eleganter Persianermantel, Alter schwer zu schätzen, wohl jünger, als sie aussieht. Unter den Augen hat sie gelbliche Ringe.
Man sammelt sich erneut und jetzt geht es zur letzten Station: Durchs Friedhofstor, den kiesgestreuten Mittelweg hinauf, vorbei an vielen Gräbern mit Marmorgrabsteinen, schmiedeeisernen Kreuzen, bis fast zur Mauer hin.
Der Sarg wird zur Grube getragen, zurechtgerückt, die Blasmusik spielt wieder einen Trauermarsch, bleich und aufrecht stehen die Angehörigen vor dem Grab, der Pfarrer spricht seinen Segen. Mittels einer Kurbel wird der Sarg hinuntergelassen, alles geht jetzt überraschend schnell, so, als müsste der Akt mit schwungvoller Routine vollendet werden. Jeder von der Familie wirft dem Winzer ein Schäufelchen Erde nach ins Grab, dahinter stellt sich der Rest der Treberndorfer an. Ein Teil der Trauergemeinde verliert sich schon auf den gepflegten Wegen des Friedhofs, als ich Hans mein Schäufelchen nachwerfe und, so wie ich es bei anderen beobachtet habe, dem Totengräber zwei Euro in die Hand drücke. Lange nicht alle, die beim Begräbnis dabei waren, haben den Angehörigen die Hand geschüttelt, das ist mir aufgefallen. Ich gehe von Eva Berthold zu Großvater Berthold, zu Christian und Martina, gebe allen die Hand, murmle etwas von „Beileid“ und geniere mich dafür, dass mir nichts Besseres, nichts Trostreicheres einfällt.
Kalt und stockfinster ist es im Grab. Mir schaudert. Beinahe überhöre ich, wie Martina mir nachflüstert: „Mama will, dass Sie noch zum Leichenschmaus kommen. Im Gasthof Herbst. Okay?“
Ich nicke, weiß nicht, wie ich absagen sollte.
Die lange Tafel im Wirtshaussaal ist fast vollständig besetzt. Der Saal ist neu und hell, freundliche
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