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Weine ruhig

Weine ruhig

Titel: Weine ruhig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aliza Barak-Ressler
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habe. Sie habe gefleht, ihre kleine Tochter ins Krankenhaus begleiten zu dürfen, denn vielleicht werde sie sterben, und dann würde sie sich nicht einmal von ihr verabschieden können. Sie weinte und schrie und sagte, dass sie sogar ihre beiden kleinen Mädchen zurücklassen würde, sie würde also mit Sicherheit wiederkommen, sobald sie gesehen habe, dass ich lebte, denn sie würde doch ihre beiden Kleinen nicht im Stich lassen. Als die anderen Juden diese überzeugenden Argumente den Wachen übersetzt hatten, ließ man Mutter gehen.
    Aber sowie das Tor aufging, nahm Rachel ihre Schwester Miriam an der Hand, und beide weinten und rannten ihrer Mutter hinterher. Die Wachen waren offenbar von der Spontanität der beiden Kinder überrumpelt und rührten sich nicht.
    Als sie alle drei auf der Straße angelangt waren, rannten sie wie verrückt los, zum Krankenhaus.
    Vor dem Krankenhaus stießen sie auf Vater, der wie benommen im Hof auf und ab ging und überlegte, was er tun sollte. Vater war fassungslos vor Freude und führte Mutter und meine Schwestern in mein Zimmer, aber als wir uns alle unter Tränen umarmt hatten, sagte man ihnen, dass sie gehen müssten.
    Wir hatten einen kleinen Sieg über unsere Häscher errungen, doch viele Fragen waren offen: Würde Vater es schaffen, den ärztlichen Direktor zu überzeugen, mich aufzunehmen? Und woher sollte er das Geld nehmen? Wohin sollten die anderen gehen, wenn das Krankenhaus einwilligte, mich dazubehalten? Und was würde dann geschehen? Wo würden sie die Nacht verbringen?
    »Großmama, warum sind sie nicht gleich in eure Wohnung gegangen?«, wollte Omer natürlich wissen.
    »Ich habe dir doch erzählt, dass die Gardisten, als sie uns aus unserer Wohnung holten, die Tür abschlossen und versiegelten. Das bedeutete, dass die Wohnung öffentliches Eigentum geworden war. Niemand durfte die Wohnung betreten, schon gar nicht jemand von uns. Man hätte uns sofort entdeckt und wieder mitgenommen.«
    Omer war mit meiner Antwort nicht zufrieden. »Was haben deine Eltern und deine Schwestern also gemacht? Wo verbrachten sie die Nacht?«
    »Mutter und die Mädchen hatten eigentlich nur zwei Möglichkeiten: entweder die Nacht im Krankenhauspark zu verbringen - was glücklicherweise zu dieser Jahreszeit, im Sommer, ohne weiteres möglich war - oder sich heimlich in die Wohnung zu schleichen, trotz allem, und sich dort bis zum Morgen zu verstecken. Ich erzähle dir gleich, wozu sie sich entschlossen.«
    Die Operation
    Ich lag zwar im Krankenhaus, aber ich war frei. Und nicht nur ich - meine ganze Familie war frei. Als Mutter und Vater mein Zimmer in der chirurgischen Abteilung verließen, hörte ich sie darüber reden, wohin sie gehen und wo sie die Nacht verbringen sollten. Vater deutete an, dass es kurzfristig nur einen einzigen sicheren Ort gebe: unsere Wohnung. Sie könnten durch das Fenster einsteigen, wie beim letzten Mal, und die Nacht dort verbringen, sagte er. Wenn alles gut ginge, würden sie frühmorgens zum Krankenhaus gehen und dann versuchen, ein sichereres Versteck zu finden.
    Meine Mutter war gegen diesen Plan; sie hatte aus gutem Grund große Angst. Sie war überzeugt, dass die Polizei zuallererst in unserer Wohnung nach ihr und meinen Schwestern suchen würde. Das sah Vater ein, und so verbrachten sie, da sie keine andere Wahl hatten, die Nacht im Park des Krankenhauses und schliefen auf Bänken. In Wirklichkeit schliefen nur die Mädchen - Mutter und Vater taten die ganze Nacht kein Auge zu. Trotz der sommerlichen Jahreszeit war die Nacht ziemlich kühl, und sie trugen nur leichte Sommersachen. Außerdem brannten die Laternen im Park die ganze Nacht hindurch, und Mutter und Vater hatten Angst, dass sie jeden Moment verjagt werden könnten.
    In der Nacht stahl Vater sich in unseren Hof, um zu sehen, was dort los war. Die meisten Wohnungen standen jetzt leer. Nur noch zwei Familien wohnten dort: die Familie des Vermieters, der von der Deportation ausgenommen worden war, und eine nichtjüdische Familie, die man für ihre Treue zur faschistischen Partei belohnt hatte.
    Vater klopfte beim Vermieter. Der Mann war sprachlos, als er ihn sah, schließlich hatte man uns am Vortag abgeholt! Als er sich unsere Geschichte angehört hatte, sagte der Vermieter, Vater solle sofort verschwinden, um sich nicht in Gefahr zu bringen. Als sie sich trennten, versteckte Vater sich im Hof hinter einem Baum und beobachtete unsere Wohnung. Bis Mitternacht ließ sich niemand blicken, nichts

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