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Weine ruhig

Weine ruhig

Titel: Weine ruhig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aliza Barak-Ressler
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Vortag nicht mehr gesehen hatte und dass ich sie mehr denn je brauchte, auch wenn sie mich nicht würde beruhigen können. Ich fragte Vater nach ihr und den Mädchen, und er beugte sich vor und flüsterte: »Sie sind hier, im Park. Ich bringe ihnen zu essen. Tagsüber sind sie hier, ganz nah bei dir. Mutter wird dich bald besuchen, und nachts werden wir zu Hause schlafen.«
    Ich verschlief fast den ganzen Tag. Die dramatischen Ereignisse und die Anstrengung, die es mich kostete, nicht aufzugeben, sondern weiterhin das kranke Mädchen zu spielen, müssen mich erschöpft haben. Ich wachte erst auf, als das Essen gebracht wurde. Ich setzte mich auf und stocherte appetitlos darin herum. Ich aß nur wenig und versteckte den Rest unter der Decke. Als Vater mich wieder besuchte, reichte ich ihm heimlich das Essen, und er steckte es schnell in die Tasche, ohne dass es jemand merkte. Er erzählte, dass Mutter und die Mädchen im Park warteten und sich hüteten, dem Krankenhauspersonal unter die Augen zu kommen.
    Ich war ängstlich und besorgt und fühlte mich sehr allein. Wie würde unser neues »Abenteuer« ausgehen? Es war eine sehr schwere Verantwortung für ein Mädchen meines Alters, das machte mich sehr nervös, und innerlich zitterte ich die ganze Zeit. Ich sehnte mich nach meiner Mutter, brauchte sie gerade jetzt so sehr, da alles so ungewiss war. Ich sehnte mich nach ihrer Berührung und ihren aufmunternden Worten, wollte mich an sie drücken und an ihrem Busen weinen, wie früher, als ich noch ein kleines Mädchen war.
    Bei der Nachmittagsvisite kam Dr. Bullock wieder zu mir ans Bett und fragte: »Wo ist dein Vater, dieser feshak?«
    Das Wort war tschechisch und bedeutete »guter Mann«, aber ich verstand veshak , was mich an »aufhängen« erinnerte, und erschrak fürchterlich.
    »Er hat versprochen, mir das Geld heute zu bringen. Was hält ihn davon ab?«
    Ich dachte, er meinte, Vater sollte zur Strafe gehängt werden, weil er ihm das Geld nicht brachte. Ich stammelte, dass Vater vermutlich auf dem Weg sei. .Der arme Mann muss von Pontius zu Pilatus rennen, um das Geld zusammenzubringen, dachte ich.
    »Ich glaube, du hast dich erholt«, sagte der Doktor bestimmt, »vielleicht können wir dich heute noch entlassen, und du kannst nach Hause gehen.«
    Nach Hause? Von welchem Zuhause redete er? Wo gab es ein Zuhause für mich? Ehe er wegging, griff ich nach seiner Hand. Das war eine sehr gewagte Geste. Ich flehte und weinte. »Bitte, Herr Doktor, schicken Sie mich nicht weg. Sie wissen genau, was das bedeutet. Vater wird Ihnen das Geld bestimmt bald bringen.«
    Ich sah in sein rotes Gesicht und ekelte mich. Ich hielt immer noch seine Hand fest, merkte aber, dass mir die Kräfte schwanden und mein Griff schwächer wurde. Nach kurzem Zögern zog er seine Hand weg und sagte in einem etwas freundlicheren Ton: »Nun, also gut, wir werden dich morgen operieren. Sag deinem Vater, er soll sich an unsere Abmachung halten.«
    Als der Arzt gegangen war, spürte ich ein Gefühl der Erleichterung. Dann begriff ich plötzlich, was der Arzt gesagt hatte: dass sie mich am nächsten Morgen operieren würden. Was bedeutete das? Würde es sehr wehtun und würde die Operation mein späteres Leben beeinflussen? Ich hatte nicht die leiseste Ahnung, was sie mit mir machen würden. Schließlich wusste jeder, dass ich nicht krank war. Warum also diese Angst einflößende und unnötige Operation? Aber gut war, dass ich weiterhin im Krankenhaus bleiben konnte - hier fühlte ich mich einigermaßen sicher.
    Als Vater kam, berichtete ich ihm die Neuigkeiten. Ich sagte ihm auch, wie wütend der Arzt gewesen war. Er nahm mich in die Arme, und seine Augen funkelten. Dann beruhigte er mich und erzählte, dass er den größten Teil des Geldes schon beisammenhabe und es dem Arzt geben könne. Schließlich tätschelte er sanft meinen Kopf und sagte: »Du bist mein tapferes und gutes kleines Mädchen. Jetzt werden wir mindestens eine Woche lang hier bleiben können, vielleicht sogar zwei - bis du dich von der Operation vollständig erholt hast. Ich hoffe, dass wir bis dahin eine Lösung finden.« Er sah mich mit seinen warmen Augen dankbar an. Sogar durch seine dicken Brillengläser hindurch konnte ich sehen, dass sie feucht waren.
    Die Vorbereitungen für die Operation wurden bereits am Vorabend getroffen. Ich war allein, ein zwölfjähriges Mädchen, und konnte die Anweisungen und Erklärungen des Narkosearztes nicht verstehen. Er versprach mir, dass

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