Weinland & Stahl
Joseph Brundle zum wiederholten Male. »Wo kann Flagg nur stecken? So groß ist der Kahn ja nun auch nicht.«
Roscoe Fairchild stapfte, ewig kurzatmig, neben dem hünenhaften Schwarzen den Gang hinunter und erwiderte keuchend: »Viel wichtiger scheint mir die Frage:
Warum
steckt Flagg, wo immer er auch sein mag? Es muss ihm etwas zugestoßen sein. Weshalb sollte er sich irgendwo anders als in seiner Kabine aufs Ohr legen?«
Brundle zuckte die Schultern, was angesichts seiner Größe und Breite leicht als Drohgebärde durchgehen konnte, und Fairchild wich unwillkürlich einen halben Schritt zur Seite.
»Keine Ahnung. Aber was soll Flagg an Bord der NOSTROMO schon zustoßen? Er tut hier länger Dienst als jeder andere von uns und dürfte jede Ecke des Schiffes kennen wie die Krümel in seinen dreckigen Hosentaschen.«
»Sieh dich doch nur um«, sagte Fairchild. Seine Kopfbewegung schloss ihre gesamte Umgebung ein. »Hier ist es überall so zappenduster, dass ein einziger falscher Schritt genügen kann, damit du auf der Fresse liegst. Und wenn du unglücklich genug fällst, stehst du nicht wieder auf.«
Brundle folgte der Geste seines Kameraden, obwohl er ohnehin wusste, was er meinte. Nicht erst jetzt, da Fairchild es in Worte gefasst hatte, kam es ihm vor, als wäre die NOSTROMO gegen Licht regelrecht allergisch.
Zwar brannten auf dem Ölfrachter kaum weniger Lampen als auf einem Schiff vergleichbarer Größe, doch schien ihr Licht nicht überall hinzureichen, wo es eigentlich hätte hinreichen
müssen
. Als würden Dunkelheit und Schatten sich in Winkeln und Ecken festklammern und sich beharrlich weigern, ihr Refugium aufzugeben. Und manchmal – immer dann, wenn er nicht wirklich hinsah – kam es Brundle so vor, als würde die Schwärze der Wände ein kleines Stück vorrücken, um Räume und Gänge der NOSTROMO noch ein wenig enger und vor allem beklemmender wirken zu lassen, als sie es ohnedies schon waren.
Brundle schüttelte sich wie ein nasser Hund, als könnte er das Unbehagen, das ihm das Schiff einflößte, damit loswerden.
Und er zuckte regelrecht zusammen, als sich aus dem Zwielicht hinter ihnen eine unsichtbare Hand löste und mit einem eisigen Finger seinen Nacken berührte und weiter sein Rückgrat hinab strich!
Der Schwarze wirbelte herum – und schalt sich selbst einen Narren, als der nächste Wassertropfen, der sich aus der Finsternis über ihm löste, seine Stirn traf und zäh, weil er mit Öl durchsetzt war, über seinen Nasenrücken lief.
»Was ist?«, fragte Fairchild erschrocken.
Brundle winkte nur ab und ging weiter. Verdammt, es war an der Zeit, diesen Kahn zu verlassen und sich einen anderen Job zu suchen. Die NOSTROMO – und nicht irgendetwas
darauf
, sondern tatsächlich das Schiff
selbst
! – würde ihm völlig den Verstand zerfressen, wenn er noch länger hierbleiben musste.
Er spürte es mit genau derselben Überzeugung, die sein Großvater früher in jene unheimlichen Geschichten gelegt hatte, die von rituellen Totenerweckungen gehandelt hatten, denen er auf Haiti selbst beigewohnt haben wollte. Etwas von dem Glauben an das Unerklärliche, den sein Großvater damit in Joseph Brundle geweckt hatte, wirkte noch heute nach. Und genau dieser Glaube war es, der ihm sagte, dass die NOSTROMO 'kein guter Ort' war...
»Lass uns dahinter nachsehen.« Brundle wies auf ein stählernes Schott, das die gesamte Rückwand des Gangs einnahm.
»Aber dahinter steht nur Schrott herum. Da geht niemand rein, wenn er nicht muss. Ich glaube nicht...«, erwiderte Roscoe Fairchild, während er mit seiner Taschenlampe die Tür ableuchtete, als könnte er allein dadurch sehen, was dahinter lag.
»Irgendwo muss Flagg ja stecken. Und nachdem wir fast jeden anderen Raum schon durchsucht haben, bleibt als einer der letzten nur dieser«, erklärte Brundle mit dem Kinn auf das Schott weisend.
»Wie du meinst«, sagte Fairchild und machte sich daran, die Tür aufzuwuchten.
Brundle spürte, wie etwas in seiner Kehle hochstieg und sich auf dem Weg nach oben zu einer Warnung auswuchs. Obwohl er selbst gerade noch dafür plädiert hatte, wollte er jetzt rufen:
Nein, öffne das Schott nicht! Nicht da reingehen!
Aber er tat es nicht.
Das
Little Men's Theatre
zwischen Times Square und Columbus Circle mochte für gewöhnlich kaum auffallen. Seine Fassade ließ alles Pompöse anderer Musical-Tempel entlang des Broadways vermissen, und wer rasch vorüberging, dem fiel vielleicht nicht einmal auf, dass
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