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Weinprobe

Weinprobe

Titel: Weinprobe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dick Francis
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Brians Schweratmigkeit und seine
fortwährenden Angstzustände erst einmal gewöhnt hatte, konnte man es als
Vorteil verbuchen, daß er ohne zu murren den ganzen Tag lang die schweren
Kartons mit Flaschen trug und nicht viel redete.
    »All die armen Leute!« rief Mrs. Palissey,
dramatisch beeindruckt. »Diese arme Mrs. Hawthorn. So eine nette Person,
denke ich immer.«
    »Ja«, meinte ich zustimmend – aber das Leben mußte
ja wohl auch weitergehen. Ein mechanisches, sinnloses Leben, so wie die Bitte
an Brian, ins Lager zu laufen und noch einen Karton White Satin zu
holen.
    Er nickte, ohne den Mund zu schließen, ging los und
kehrte unfehlbar mit dem Richtigen zurück. Er mochte nicht lesen können, aber
ich hatte festgestellt, daß er das generelle Erscheinungsbild einer Flasche und
eines Etiketts auszumachen wußte, wenn ich es ihm drei- oder viermal beschrieb,
und jetzt kannte er alle gängigen Artikel vom Sehen. Mrs. Palissey
erklärte mindestens einmal wöchentlich, sie sei doch ganz schön stolz auf ihn.
    Mrs. Palissey und ich blieben in gegenseitigem
Einvernehmen bei der förmlichen Anrede Mr. und Mrs. – das sei
seriöser, meinte sie. Sie war von Natur aus gefällig und von daher eine gute
Verkäuferin. Den unentschlossenen Kunden gab sie wirklich hilfreiche Anstöße. »Die
wissen überhaupt nicht, was sie wollen, nicht wahr, Mr. Beach?« sagte sie
dann hinterher, und ich mußte zugeben, daß sie es häufig wirklich nicht wußten.
Mrs. Palissey und ich neigten dazu, wieder und wieder dieselben Gespräche
zu führen, und das ein wenig zu häufig.
    Sie war in allen größeren Belangen ehrlich und
skrupellos in kleinen. Sie hätte mich niemals an der Kasse betrogen, aber Brian
vernaschte erheblich mehr Kekse und Marsriegel, als ich ihm selber gab, und
Reserveglühbirnen und halbvolle Dosen Nescafe wanderten mit ihr nach Hause,
wenn sie Bedarf hatte. Mrs. Palissey hielt so etwas für »Trinkgeld«, aber
eine Flasche Sherry mitgehen zu lassen, hätte sie als Diebstahl betrachtet. Ich
respektierte die Unterscheidung, war dankbar dafür und zahlte ihr ein wenig
mehr als den üblichen Lohn.
    Wenn wir beide zusammen im Laden waren, bediente
Mrs. Palissey die Kunden, während ich in Hörweite in dem winzigen Büro
saß, die Schreibarbeit erledigte und telefonische Bestellungen entgegennahm,
dabei aber, wenn nötig, bereit war, ihr zu helfen. Manchen Kunden, besonders
Männern, ging es ebensosehr um den Weinplausch wie um die Ware, und hier
beschränkten sich ihre Kenntnisse im Grunde auf süß, trocken, billig, teuer und
beliebt.
    Es war eine Männerstimme, die ich sagen hörte: »Ist
Mr. Beach selbst da?« worauf Mrs. Palissey hilfsbereit erwiderte: »Ja,
Sir, er wird sofort kommen.« Ich stand auf und ging die paar Schritte bis in
sein Blickfeld.
    Der Mann, der einen beigen Regenmantel mit Gürtel
trug, war vielleicht eine Spur älter als ich und trat mit beachtlicher
Autorität auf. Ohne allzu große Überraschung sah ich, wie er aus einer
Innentasche ein Dienstabzeichen holte und sich als Detective Sergeant Ridger
von der Themsetal-Polizei vorstellte. Er hoffte, ich könnte ihm bei seinen
Nachforschungen behilflich sein.
    In Gedanken vollführte ich einen jener raschen,
halb schuldbewußten Loopings um alles, was ich möglicherweise falsch gemacht
haben könnte, ehe ich zu dem einleuchtenden Schluß kam, daß sein Erscheinen
etwas mit dem Unglück zu tun haben müßte. Und so war es denn auch, nur nicht in
der Art, wie ich vermutet hätte.
    »Kennen Sie einen Mr. d’Alban, Sir?« Er
überlegte und setzte hinzu: »Den Ehrenwerten James d’Alban, Sir?«
    »Ja, ich kenne ihn«, sagte ich. »Er wurde gestern
auf der Hawthorn-Party verwundet. Er ist doch nicht etwa …« In letzter
Sekunde scheute ich vor dem »tot« zurück.
    »Nein, Sir. Soweit ich weiß, liegt er mit
gebrochenen Rippen, einem Lungenriß und einer Gehirnerschütterung im
Armeekrankenhaus.«
    Damit kann man leben, dachte ich ironisch. Armer
Jimmy.
    Ridger hatte einen kurzen, überkorrekten
Haarschnitt, wachsame braune Augen, eine knöpfestarrende Quarz-Armbanduhr und
kein Talent für Öffentlichkeitsarbeit. Er sagte unpersönlich: »Mr. d’Alban
wurde auf dem Transport zum Krankenhaus in gewissem Grade wach und redete
zusammenhanglos, aber wiederholt von einem Mann namens Larry Trent, von
irgendeinem unaussprechlichen Whisky, der nicht das wäre, was er sein sollte,
und von Ihnen, Sir, der mit Sicherheit dahinterkäme, wenn er ihn

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