Weinprobe
Backsteinen vor lauter noch viel
blankeren Glasflächen jetzt kaum mehr etwas zu sehen war. Nachts vom Fluß her
gemahnte das Ganze an Blackpool bei voller Beleuchtung, und selbst tagsüber sah
man von der Straße aus den Namen Silver Moondance in weißen Leuchtbuchstaben
über dem Eingang blinken.
»Sind Sie hier bekannt, Sir?« fragte Ridger mit
Verspätung, als wir in die Einfahrt bogen.
Ich schüttelte den Kopf. »Denke ich nicht. Als ich
das letzte Mal hier war, hieß es noch Riverland Pension und war voll von alten
Leuten im Ruhestand. Ich lieferte ihnen Getränke.«
Nett waren sie gewesen, erinnerte ich mich
wehmütig, und auch ganz schöne Schluckspechte, die sich ihr feuchtfröhliches
Vergnügen lobten.
Ridger grunzte ohne viel Interesse und parkte auf
ein- oder zweihundert Quadratmeter verlassenem Asphalt. »Jetzt dürfte gerade
geöffnet worden sein«, meinte er befriedigt, als er die Wagentüren abschloß.
»Fertig, Sir?«
»Ja«, sagte ich. »Und … hm … überlassen
Sie das Reden mir.«
»Aber …«
»Man alarmiert sie besser nicht«, suggerierte ich,
»sonst schütten sie den Laphroaig am Ende in den Spülstein.«
»Den was?«
»Das, wonach wir suchen.«
»Oh.« Er überlegte. »Meinetwegen.«
Ich sagte ohne Nachdruck: »Schön«, und wir traten
durch das knallige Portal in die mit feudalem Stuck verzierte Eingangshalle.
Überall brannte Licht, aber niemand war zu sehen.
Ein unbesetzter Empfangstisch. Laue Luft, in der nichts war und nichts sein
würde.
Ridger und ich gingen auf ein Schild aus Treibholz
mit Eisenschnörkeln zu, das den Silver Moondance Saloon anzeigte, und
stießen die Wildwest-Schwingtür in den dahinterliegenden Raum auf. Er war rot,
schwarz und silbern, sehr groß und menschenleer. Um die zahlreichen Tische
waren säuberlich je vier Wiener Stühle angeordnet, und auf der einen Seite
befand sich eine konventionelle, dienstbereite Theke.
Keine Bedienung.
Ridger steuerte zielbewußt den Tresen an und
klopfte darauf, ehe ich ihn noch eingeholt hatte.
Niemand kam. Ridger klopfte erneut, anhaltender und
lauter, und wurde dann auch bald von einem ziemlich jungen Mann erhört, der
durch eine andere Schwingtür im Hintergrund der Thekenecke erschien, sichtbar
schwitzte und sich in eine weiße Jacke mühte.
»Immer mit der Ruhe«, sagte er ärgerlich. »Wir
haben erst seit fünf Minuten auf.« Er wischte sich die feuchte Stirn mit den
Fingern und knöpfte seine Jacke zu. »Was kann ich Ihnen bringen?«
»Ist das Restaurant geöffnet?« sagte ich.
»Bitte? Noch nicht. Vor zwölf gibt es da nichts.«
»Und der Weinkellner – ist der schon da?«
Der Barmann blickte auf seine Uhr und schüttelte
den Kopf.
»Wozu brauchen Sie ihn denn? Was immer Sie trinken
wollen, ich gebe es Ihnen.«
»Die Weinkarte«, sagte ich demütig. »Dürfte ich die
mal sehen?«
Er zuckte die Achseln, griff unter den Tresen und
holte eine wattierte rote Mappe hervor. »Bitteschön«, er reichte sie herüber.
Er war nicht bewußt unverschämt, dachte ich,
sondern nur vom Ableben des Chefs aus dem Gleis gebracht. Berufserfahren, etwas
feminin, mit unerfreulichen Pickeln und einem Silberarmband, das ihn als »Tom«
auswies. Ich spürte, wie Ridger neben mir der Kragen schwoll, daher sagte ich
mild: »Könnte ich bitte einen Scotch haben?«
Der Barmann warf einen halb gereizten Blick auf die
Weinkarte in meiner Hand, drehte sich aber um und stieß ein Normglas gegen den
Portionierer an einer Standardflasche Bell’s.
»Was für Sie?« sagte ich zu Ridger.
»Tomatensaft. Ohne Worcestersoße.«
Der Barmann stellte meinen Whisky auf die Theke. »Irgend
etwas dazu?« fragte er.
»Nein, danke.«
Ich zahlte für die beiden Drinks, und wir setzten
uns an einen der Tische, die am weitesten von der Bar entfernt waren.
»Deswegen sind wir doch gar nicht gekommen«, erhob
Ridger Einspruch.
»Eins nach dem anderen«, sagte ich, den Whisky beschnuppernd.
»Man fängt unten an und arbeitet sich hoch. Gute Weinprobetaktik.«
»Aber …« Er besann sich eines Besseren und
zuckte die Achseln. »Na schön. Auf Ihre Weise. Machen Sie’s aber nicht zu
lang.«
Ich nahm einen winzigen Schluck Whisky in den Mund
und ließ ihn rückwärts über meine Zunge gleiten. Whisky kann man nicht mit den
Geschmacksnerven an der Spitze, bei den Vorderzähnen kosten, sondern nur an den
Zungenseiten und hinten. Ich ließ alles, was da an Aroma war, voll zur
Entfaltung kommen, ehe ich schluckte, und wartete
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