Weinstrassenmarathon
normale Bruchsteine, die wohl in grauer Zeit zu der Mauer gehört hatten und hier gesammelt wurden. Die Steine waren auf Steinplatten gestapelt, die untendrunter hervorschauten. Röder verglich die Platten mit den Fotos. Deutlich konnte er erkennen, dass sie offensichtlich das gleiche Format hatten. Das mussten die Ãberreste des ominösen Grabes sein, die hier achtlos gelagert wurden.
Er räumte einige Steine beiseite, sodass er die GleichmäÃigkeit der behauenen Platten bewundern konnte. So perfekt gehauene Platten wurden vor dreitausend Jahren nur für Fürsten hergestellt! Das konnte auch ein Laie erkennen! Das Grab musste etwas mit den Todesfällen zu tun haben. Hoffmann hatte bewusst die Bedeutung des Grabes heruntergespielt, deshalb vielleicht sogar sterben müssen. Welche Bedeutung hatte diese Stätte? Was hatte der Mord vor fünf Jahren damit zu tun? Was war die Rolle des Polen, des verurteilten Mörders? Wer hatte Demlmaier auf dem Gewissen? Wer hatte den Anschlag auf Hellinger, seinen besten Freund, verübt? Sherlock R. war sich nun sicher. Alle diese Morde hingen zusammen. Er musste herausfinden, was für ein Grab das war, und er würde den Fall lösen. Steiners Mahnung zum Trotz. Sollte der spieÃige Beamte doch sehen, wo er blieb. Röder schämte sich sofort für seinen Gedanken. Steiner war ebenfalls ein alter Freund, auch wenn sie nicht immer der gleichen Meinung waren. Grübelnd und mit vielen offenen Fragen trat Röder seinen Nachhauseweg an. Er fuhr fast zehn Kilometer auf derselben Strecke, die er vor mehr als einer Woche gelaufen war. Auf der ersten Marathonhälfte, noch lange vor Dackenheim, als der Historiker sein hässliches Ende gefunden hatte.
Am nächsten Morgen versuchte Röder mit einem voll beladenen Frühstückstablett Pluspunkte zu sammeln. Ohne Erfolg. Seine Stimmung war an diesem Morgen auf dem Tiefpunkt. Zurzeit lief alles schief. Das fröhliche Familienchaos fehlte ihm besonders. Manu blieb verschlossen, und die Mädels hatten Ferien. Irgendwann raffte er sich schlieÃlich auf, schlurfte lustlos zu seinem Auto und fuhr los. Er musste pünktlich sein. Sein erster Termin an dem Tag war die Verhandlung, die er in der vergangenen Woche hatte platzen lassen. Der Anwalt nutzte diesen Umstand weidlich aus, um ihn lächerlich und somit unglaubwürdiger zu machen. Tatsächlich konnte Röder das beantragte Strafmaà nicht durchsetzen, aber immerhin kam es nicht zu einem Freispruch.
Am Nachmittag beschäftigte er sich mit den Akten. Er zwang sich, bei der Sache zu bleiben und die Wirtshausprügelei richtig zu beurteilen. Nur um der drögen Arbeit zu entgehen, trug er sich mit dem Gedanken, einen Termin beim psychologischen Dienst zu vereinbaren. Vielleicht rührte seine Unlust von dem Schock her, versuchte er sich einzureden. Tatsächlich wusste er es besser und verstand genau, woher dieses tiefe Motivationsloch kam. Er wäre jetzt gern in der Baker Street 221B gewesen und würde auf einen adligen Klienten warten, der in der indischen Armee gedient hatte und geradewegs von seinem Landgut in Devonshire kam. Das lieà sich klar anhand der geraden Haltung, der besonderen Redewendungen und des kalkigen Schlammes an den Schuhen deduzieren. Unbarmherzig riss die Magnum-Titelmelodie Röder aus seinen Träumen.
»Hallo, hier ist Anastasia. Wie geht es Ihnen?«
»Wer spricht, bitte?«, fragte Röder verwirrt.
»Anastasia. Sie erinnern sich doch. Zwei Pfälzer in München. Wir haben uns über den Wurstmarkt unterhalten.«
»Miss Mai! Entschuldigen Sie, ich war gerade ganz woanders. Natürlich erinnere ich mich an Sie. Mir geht es so lala. Aber wie geht es Ihnen? Was machen Sie jetzt?«
»Das wollte ich Sie auch fragen. Haben Sie Zeit? Ich bin über Ostern in Neustadt. Wir könnten uns treffen. Der Wurstmarkt ist zwar erst im September, aber wollten wir nicht einen Schoppen gemeinsam trinken?«
Röder wollte keine weiteren Verwicklungen. Er erinnerte sich an seinen Fehltritt vom vergangenen Jahr. »Hören Sie, ich kann mich nicht mit Ihnen treffen.«
»Ist es wegen des Zeitungsartikels oder weil ich ein Playmate bin?«
»Ja, auch.«
»Wollen Sie, dass ich zu Ihnen in die Staatsanwaltschaft komme?«
»Woher wissen Sie, wo ich arbeite?« Röders Verwirrung wuchs ins Unermessliche.
Sie lachte. »Berufsgeheimnis. Aber ich komme
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