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Weinzirl 02 - Funkensonntag

Weinzirl 02 - Funkensonntag

Titel: Weinzirl 02 - Funkensonntag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicola Förg
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Gerhard langsam anfuhr.
    Es hätte mit Sicherheit kürzere Fahrstrecken hinüber nach Gunzesried
gegeben, aber Jo fuhr über Rauhenzell und Ettensberg. Und wie jedes Mal war
diese Landschaft wie eine Heilung. Mit jeder Kurve gab es neue Ausblicke, mit
jeder Senke und jedem kleinen Buckel kam Abwechslung in die Optik. Es ist
Luxus, hier zu wohnen, dachte Jo. Man musste sich das mal ab und zu vorsagen!
In Reute nahm ihr ein Niederländer die Vorfahrt, sie hatte zu tun, einem Unfall
zu entgehen. Sie war einfach extrem unkonzentriert und in Gedanken versunken.
Das Bild des Armes ging ihr nicht aus dem Kopf und der Wahnsinn, dass dieser
Adi Feneberg noch gelebt hatte. Sie rief sich zur Räson und fuhr langsamer
durch die Kurven. »Lifte außer Betrieb« besagte ein Schild. Es war eine
Schande! Aber auch die neuen Schneekanonen nutzten nichts, wenn es sogar nachts
Plusgrade hatte.
    Als sie an ihrem Stall am Ortsrand von Gunzesried ankam, war Sandra
gerade dabei, Jos Island-Stute Fenja auf einer Wiese um kleine Pylone zu
reiten. Die Stute hatte für den Tag eindeutig etwas anders geplant.
Fjord-Wallach Falco zu verprügeln beispielsweise oder ihrem Fohlen das Fell zu
kraulen. Vielleicht auch lange Galoppaden mit einigen Freudensprüngen, aber
doch keine Arbeit auf einem Viereck! Ziemlich zickig versuchte sie immer
wieder, wenigstens Gras zu erhaschen.
    Jo winkte Sandra zu. »Heh, vorwärts-abwärts macht sie besonders gut,
wie man sieht.«
    Sandra schnitt eine Grimasse und kämpfte weiter. Jo lehnte sich an
den Zaun, wo Quirin bereits stand. Sie hatte ihn zwar nur am Funken kurz
gesehen, aber sie erkannte ihn sofort. Er war wirklich ungeheuer dünn. Ein Typ
wie Hannawald, die Jeans umschlabberte ihn, und das war nicht mal eine dieser
Arsch-hängt-kurz-vor-dem-Grundeis-Hosen! Schweigend sahen sie zu, wie Sandra
sich nun redlich abmühte, die Stute rückwärts durch ein Stangen-L zu
manövrieren.
    »Hi! Quirin, glaub ich?«, fragte Jo schließlich.
    »Hi! Ach, Sie sind die Frau, wegen der Sandra immer den diskreten
Duft der Pferde in mein Auto entlässt.« Er sprach sehr hochdeutsch, fand Jo.
    Jo lachte und war erst mal zufrieden. Na, er konnte immerhin
sprechen. »Ja, schade für dich. Wir haben uns doch beim Funken gesehen? Aber
halt, müsste ich nicht ›Sie‹ sagen?«
    Quirin winkte ab. »›Du‹ ist okay und ja, wir haben uns beim Funken
gesehen.« Er schaute unbeteiligt weg und Sandra hinterher.
    Der Knabe tat so, als hätte er sich schon immer brennend für Pferde
interessiert. Jo mahnte sich, ihre Neugier zu zügeln. Weiter ging’s im
Plauderton.
    »Schöne Scheiße, wie konnte das mit Adi Feneberg passieren? Ihr wart
doch die ganze Zeit da? Das muss ja unangenehm für euch sein.«
    Quirin betrachtete sie mit einer Mischung aus Verachtung und
Interesse. Jo rang nach Luft, die immer noch keinen rechten Geschmack hatte,
wenn sie auch zunehmend kälter wurde. Dann fröstelte sie. Sie hatte Mühe,
seinem Blick standzuhalten.
    Quirin sah sie weiter unverwandt an. »Bemühen Sie sich nicht. Ich
weiß, dass Sie diesen Weinzirl-Bullen kennen. Im Prinzip ein ganz guter Typ,
wenn er was Anständiges gelernt hätte.«
    »Ich wollte dir nicht zu nahe treten.« Jo fand sich extrem dämlich.
Wieso brachte sie ein dünner Jüngling so aus dem Konzept?
    »Oh, wer mir nahe tritt, das bestimme ich. Seien Sie unbesorgt, auch
was die Presse betrifft, falls die mir zu nahe tritt. Ich bin doch nicht blöde.
Aber da Sie ja sicherlich mit diesem Weinzirl konferieren: Okay, erzählen Sie
das ruhig weiter. Ich war bekifft, okay? Voll bis oben! Die anderen auch, aber
glauben Sie, das konnten wir an dem Abend und bei den Verhören den Bullen
erzählen? Die Eltern der anderen Jungs saßen dabei, meine Kumpels sind beide
noch keine achtzehn. Da legt man Wert auf die Anwesenheit der
Erziehungsberechtigten. Und was glauben Sie, hätten die dann über ihre
Erziehungskompetenz erfahren? Durchgefallen bei der PISA -Studie für Eltern.«
    So wie er sprach, hätte er wirklich auf einer Bühne stehen können.
Jo dämmerte, wieso Gerhard der Junge unheimlich war. Für Gerhards geradlinige
Denke sprach Quirin zu fein ziseliert, er war zu unmännlich. Wenn er
Skitouren-Geher gewesen wäre oder Fußballer, das hätte Gerhard gefallen. Aber
ein Kulturfreak, das war für Gerhard eine echte Heimsuchung!
    Jo sah Quirin mit zunehmendem Interesse an und verkniff sich jeden
Kommentar über Eltern. Was sollte sie auch eine Lanze für irgendwelche Eltern
brechen?

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