Weinzirl 02 - Funkensonntag
fröhlich klang.
»Nein, aber Quirin war es nicht.« Sie gab das Gespräch wieder. »Und
auch wenn du jetzt lachst. Ich weiß auf einmal, dass wir es herausfinden
werden. Es wird kalt. Es wird schneien. Kälte ist gut, Kälte ist Klarheit,
Bakterien und Beschönigungen kommen darin um.«
Gerhard grunzte. »Aha, Fräulein Kennerknechts Gespür für Schnee!
Deine Schnee-Seligkeit in allen Ehren. Aber wir müssen etwas handfester
arbeiten.«
»Ja, ich weiß: Wie pflegst du zu sagen? Polizeiarbeit ist wie ein
Puzzle. Geduld ist alles und Zähigkeit. Ja, mein zäher Bulle, und an welcher
zähen Masse klebt ihr so?«
»Rohypnol«, stöhnte Gerhard. »Wo kam es her? Krankenhäuser,
Apotheken, Ärzte – das ist ein Fass ohne Boden.«
»Und geht’s voran?«
»Zäh eben!«
»Und die Feinde von Adi?«, wollte Jo wissen.
»Keine in Sicht. Es ist ebenfalls zäh und echt zum Kotzen!«
6.
Nachdem Jo bis neunzehn Uhr in ihrem Büro Zahlen gewälzt hatte –
das, was sie am meisten an ihrem Job hasste –, löschte sie schließlich das
Licht. Als sie die Autoscheinwerfer anmachte, fielen die ersten Flocken. In
Zaumberg waren es schon Wattebäusche, und wenig später war die Straße bereits
von einem feinen weißen Film überdeckt. Jo scheute sich fast, Reifenspuren in
das Weiß zu ziehen. Sie stoppte hinter Luitharz und stieg aus. Mit weit
ausgebreiteten Armen lief sie ein Stück, drehte sich immer schneller und warf
den Kopf in den Nacken. Schnee auf unserer Haut, dachte Jo. Komisch, was einem
so einfällt! Aus ihrem Autoradio drangen die Weather Girls »It’s raining men«.
Jo begann mit einem Veitstanz oder auch Freestyle-Aerobic, und hätte sie jemand
gesehen, hätte er wohl schleunigst die Herren mit den Zwangsjacken gerufen.
Aber da war niemand. Das Gefühl des Vormittags war wieder da, ein Gefühl der
Sicherheit, der Gewissheit, anwesend zu sein. Im eigenen Körper, im Herzen, im
Winter der Klarheit!
Es war fast eine halbe Stunde vergangen, als Jo völlig durchnässt in
ihr Auto stieg. Inzwischen trieb der Ostwind den Schnee vor sich her, die
Holzzäune waren zugeweht, der Holzstapel am Hof ihrer Nachbarn versunken. Die
Straße war verschwunden, der kleine Bach schon lange. Alles, was einst getrennt
war, war verbunden, verbunden zu einer weißen Ebene, auf die unaufhörlich
weiter Schnee sank. Es ist eine Frage des Charakters, wie man diese Schneewüste
empfindet, dachte Jo. Als weit, offen und verführerisch, als komponiere die
Schneesymphonie alles neu! Oder aber man empfindet sich als Gefangener der
Weite und verharrt lieber, bevor man seine Schritte auf trügerischen Untergrund
lenkt. Aber trügerische Fährten, unsicheres Terrain oder
Fünfzig-Fünfzig-Chancen hatte Jo nie gescheut.
Als sie vor ihrem Haus ankam, stand da ein Volvo mit Berliner
Kennzeichen. Andrea! Kaum mehr sichtbare Fußstapfen führten zur Eingangstür,
die bereits bis auf ein Viertel zugeweht war. Mit einem Ruck riss Jo die Tür
auf, und von drinnen kam ein »Huhu!«. Andrea saß am Küchentisch, flankiert von
Frau Mümmelmaier und Herrn Moebius.
»Hi! Ich war so frei zur Freude deiner Tiger, Cappuccino zu machen
und einen Grappa dazu zu nehmen.«
Angesichts der halbvollen Flasche Poli Riserva war »nehmen« ein
Hilfsausdruck.
»Du meinst wohl inhalieren?«, lachte Jo, »außerdem trinken die Tiger
keinen Grappa.«
»Nein, aber exzessiv den Milchschaum vom Cappuccino. Ich musste
ihnen schon zwei Mal welchen machen und selbst alternativ Grappa trinken. Vom
Cappuccino haben die mir fast nichts abgegeben. Ich bin aber auch schon eine
Stunde hier, bloß gut, dass dein Schlüsselversteck nicht wirklich kreativ ist«,
sagte Andrea.
»Nun komm aber«, maulte Jo, »den Schlüssel in die Halsschleife der
Terrakotta-Katze vor der Tür zu knoten, ist schon kreativ.«
»Nicht, wenn man ein Leben führt, bei dem sich alles um diese
Felldeppen dreht. Apropos, du hast mir verschwiegen, dass du noch mehr von
diesen Mördertieren hast.« Andrea verdrehte die Augen.
Als Jo sie fragend ansah, fügte sie hinzu: »Na, als ich hier
reinkam, sprang mir etwas Gewaltiges in die Kniekehle. Ich klappte nach vorne
und dachte schon, es gäbe wieder Luchse im Allgäu.«
»Ach so, das ist der Old Earl Grey. Ein alter stattlicher Kater, der
meine Diva Mümmelmaier verehrt und zudem hier Essen aufnimmt. Der gibt immer
etwas kräftiger Köpfchen. Der gehört mir aber nicht, das ist nur so ein
gelegentlicher Mitesser«, sagte Jo.
»Und was ist das?« Andrea
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