Weinzirl 02 - Funkensonntag
Minute zu Minute intensiver, was
Jens tat. Würde er gehen? Würde er ihr ein Zeichen geben? Er gab ihr eins,
drückte unter einem Stehtisch ihre Hand.
Als sie sich auf dem Weg zur Toilette begegneten, sagte Jo: »Ich
würde jetzt gehen.«
»Echt? Schade! Bleib doch noch, ist doch nett hier.« Er lächelte
dieses reizende Lachen, und für Jo war es doch wie eine Ohrfeige.
»Kann ich dich kurz draußen sprechen?«, fragte sie gepresst.
Jens nickt verblüfft. Sie standen draußen, in der kalten Berliner
Nacht.
»Warum tust du das?« Jo starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an.
»Tue ich was?«
»Nimmst meine Hand und lässt mich dann so auflaufen. Fühlst du denn
nichts?« Jo klang schrill.
»Jo, das war einfach spontan. Spontane Freude. Spontane Zuneigung.
Sonst fühle ich meistens Druck. Ich wünschte mir, ihm nur für einige Stunden zu
entfliehen. Und ich weiß, was du jetzt gleich sagen wirst. Du könntest mir
Kraft geben. Vielleicht könntest du das wirklich, aber ich bin nicht bereit
dazu.«
»Und was war das in Knottenried? Ein männerüblicher One-Night
Stand?«
Jens atmete tief durch. »Ich weiß, dass das nun komisch klingt. Aber
ich mache so was eigentlich nicht. Seit meiner Scheidung hatte ich keine
Affären mehr. Es war einfach dieser Abend, es war eine zauberhafte
Leichtigkeit.«
»Aber die ist jetzt weg, was? War das alles? Spürst du nicht, wie
wichtig und selten es ist, jemandem so nahe zu sein?«, durchschnitt Jos Stimme
die Nacht.
»Jo, du hältst mich für einen eiskalten Klotz. Es hätte vielleicht
eine Chance, wenn wir uns außerhalb unser beider Leben treffen würden.
Vielleicht würde es uns befreien? Aber für wie lange?«
Jo unterbrach ihn ungehalten. »Keine Ahnung! Das ist doch egal. Ich
möchte jetzt bei dir sein. Ist das so schlimm? Jetzt und hier und heute?«
Jens seufzte. »Nein, nicht schlimm. Aber das Leben ist anders. Es
ist so oft im Leben gar nicht zu spät, vielmehr ist es öfter viel zu früh.
Right place, wrong time oder umgekehrt. Und der falsche Typ!«
»Und was ist so falsch? Das ist doch Selbstbetrug. Welch ein
Irrsinn, zu glauben, das Leben fände später anderswo statt. Wir haben nur eins.
Ich verstehe euch Männer nicht! Du gehst sogar so weit, mich vor dir zu warnen?
Das ist doch ganz große Scheiße!«
»Ja, ich weiß. Aber ich bin momentan wirklich ein Wrack. Ich steige
in dieses Spiel wieder ein, wenn meine Tochter älter ist. Jetzt nicht.«
Das war wie ein Schlag für Jo.
»Du hast ein Kind?«
Jens nickte.»Ja, Jenny lebt bei mir. Aber es gab nie den richtigen
Zeitpunkt, das zu erzählen.«
Jos Stimme war schrill, und sie wurde zynisch vor Verzweiflung.
»Kein richtiger Zeitpunkt! Das ist ja auch eine Nebensache – so ein Kind.«
»Nein, ist es nicht. Meine Tochter ist das Wichtigste auf der Welt
für mich. Die Scheidung hat sie traumatisiert. Sie hatte massive Schul- und
Kontaktprobleme. Jetzt geht es gerade so. Aber lassen wir das. In meinem Leben
ist kein Platz für eine Frau.«
Das war klar und endgültig. Eine Welle von Verzweiflung schwappte
über Jos Seele.
»Ich scheiß auf deine Tochter!«, schrie sie, und ohne es eigentlich
zu wollen, schüttete sie Jens den Rest ihres Weins ins Gesicht. »Du bist so
feige! Wieso verratet ihr alle euren Plan vom persönlichen Glück?«
Es war nicht viel Wein gewesen, aber doch so viel, dass Jens vorsichtig
seine Brille abnahm und blinzelte.
»Es tut mir Leid. Ich, Jens, ich …«
Er lächelte müde. »Jo, liebe Jo, vergiss das. Aber vergiss eins
nicht: Auch du verrätst deinen Plan vom persönlichen Glück. Du hättest doch
längst einen optimalen Partner gefunden. Kein Wrack wie mich, das eher einen
Therapeuten braucht als eine Frau, die so voller Leben ist wie du. Da ist doch
einfach nur ein Mann direkt vor deiner Nase, und ein guter Typ ist er dazu! So,
und jetzt vergessen wir das alles. Gehst du noch mit rein?«
Jo schüttelte wortlos den Kopf. Jens gab ihr einen leichten Kuss auf
die Stirn.
»Denk darüber nach«, sagte er leise und ging.
Sie starrte noch lange auf die Tür, die hinter Jens zugeklappt war.
Ziellos und planlos begann sie herumzulaufen, bis ihr die Füße in ihren hohen
Stiefeletten wehtaten. Sie winkte einem Taxi und nannte Andreas Adresse.
Die Leere in der Wohnung war unerträglich. Jo lief unruhig auf und
ab. Ihre Gedanken waren wirr. Nun war die kleine Patti also schwanger und würde
eine glückliche Familie haben. Und Jens, der hatte eine Tochter. Wieso tat das
so
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