Weinzirl 02 - Funkensonntag
ignorierte sie diese völlig.
»Diese Messe bringt mich um.« Graziös streckte sie das
seidenbestrumpfte Bein mit den Stöckeltretern in die Luft, den Rock
hochgerutscht bis zur Datumsgrenze. »Wohin geht ihr heute Abend? Also ich gehe
zuerst auf das ›Get-Together‹ bei den Belgiern, die haben ja so süüüüßes Bier
und dann, also ich weiß nicht!« Sie ließ den Knöchel kreisen. »Jens, Herzchen,
was machst du? Bei den Thailändern wird was in den Hackeschen Höfen geboten,
aber Disney soll dieses Mal auch gaaaanz toll sein. Und die Cathay Pacific, die
soll ja was ganz Exklusives im Funkturm planen. Jens, Herzchen, da müssen wir
hin.«
Es war sonnenklar, dass Elke keine Einladung für die Cathay hatte.
Aber Jens hatte eine und zuckte mit den Schultern. »Ist für zwei Personen, wir
können da kurz vorbeischauen, ich muss später aber noch schreiben.«
Jo hätte ihn am liebsten erwürgt, und Elke schaute so dämlich drein
wie die Inkarnation eines Blondinen-Witzes. Tja, Mädel, manche Leute arbeiten
auf dieser Messe, dachte Jo. Aber Jens war schon aufgestanden, hatte Patti und
Jo zugenickt.
»Man sieht sich, ich schau dann bei euch am Stand vorbei. Ihr habt
doch ‘ne PK , oder?«
Und weg war er.
Jens hinterließ ein Vakuum, ein schwarzes Loch wie damals im
Bergstätter Hof. Jo drohte, in den Abwärtsstrudel hineingerissen zu werden, als
Patti sagte: »Nein, das tust du jetzt nicht! Du gehst nicht auf den Funkturm.
Du kennst dich doch sonst mit Pferden aus. Warum setzt du immer auf die
falschen? Wir verlassen jetzt diesen Ort und machen unsere Arbeit. Wir haben
eine PK , wenn du dich erinnerst!«
Als sie wieder am Stand waren, grüßte das Kuhnigunde-Poster des
Bergbauernmuseums. »Hi, Kuh«, murmelte Jo und wandte sich einer weiteren »Kuh«
zu, einem Melksimulator, den ihr das Museum zur Verfügung gestellt hatte. Da
konnten Besucher mal ihre Melkkünste testen. Eine ziemlich geniale Sache, die
super ankam und an der sich heute Nachmittag auch die Presse versuchen konnte.
Zum »Get Together« hatte Jos Tourismusverband nicht eingeladen, aber zum
»Heigada und gemütlichen Hock.«
Ein Berliner Lokal- TV -Sender
und später sogar die ARD kamen auf
einen Dreh vorbei, und in Berlin wollte kein Mensch etwas über die Funkenleiche
wissen. Bunte Urlaubswelten werden nur durch rosarote Linsen gefilmt. Als gegen
sechzehn Uhr die Pressekonferenz begann und Patti einen Wettbewerb im
Alphornblasen auslobte, war ihr Stand in ein Blitzlichtgewitter getaucht. Die
Käseplatten aus Gunzesried waren schnell leer gegessen, das Bier von Schäffler
Bräu aus Missen drohte auszugehen.
Jo war in Hochform. So sehr sie manchmal haderte, so sehr sich ihre
Sehnsüchte änderten, das hier war schon das Terrain, auf dem sie sich
schlafwandlerisch sicher bewegte. Sie konnte sich auf die Wirkung ihres Charmes
und Charismas verlassen. Dieser Heigada lief perfekt. Sogar die Abwesenheit von
Jens störte sie nicht. Er hatte sein Versprechen, am Stand vorbeizukommen,
nicht wahr gemacht. Und weil sie einige Gläser Sekt getrunken hatte, befand sie
sich im Schwebezustand. So schwebte sie denn auch auf der legendären »Irish
Night« ein. Das war der einzige ITB -Event,
der wirklich ein Klassiker war, den sie nicht verpassen wollte. Es gab Berge
ungesunder Pasteten, fette Wurst- und Käseplatten und Majosalate. Nichts fein
Ziseliertes, keine Fusion-Küche, keine Ethno-Extravaganzen an halber Möhre.
Dazu in einer urigen Kneipe, die immer brechend voll war. Ziemlich voll, als
Jens kam. Jo war umringt von Journalisten, Jens blieb am Eingang stecken und
herzte einige Damen.
Sie schickte ihm ein Lachen hinüber, er warf ihr eine Kusshand zu.
Jo wusste, dass sie beide sich ähnlich waren, gefährlich ähnlich. Sie brauchten
es beide, im Licht zu stehen. Sie waren beide diejenigen, die ein klein wenig
besser waren als die anderen. Jo beobachtete Jens aus dem Augenwinkel. Er trug
ein enges schwarzes T-Shirt, das seinen sehnigen Körper zur Geltung brachte,
dazu schwarze Jeans. Er sah gut aus, zumal er unter all den winterlichen
Bleichgesichtern mit seiner Bräune besonders hervorstach. Als ihm einige
Kollegen zu einem Journalistenpreis gratulierten, wiegelte er die Glückwünsche
charmant ab. Er stapelte tief, war dabei ein klein wenig kokett. Jo grinste: So
ähnlich hätte sie auch reagiert. Er hätte doch einfach sagen können, wie sehr
er sich über den Preis freute. Warum gab er sich lieber ironisch?
Es war neun, und Jo beäugte von
Weitere Kostenlose Bücher