Weinzirl 02 - Funkensonntag
meinte Patti und konnte sich anscheinend nicht
verkneifen zu fragen: »Da kommt Jens doch sicher gern?«
Jo streckte ihr die Zunge raus.
»Bevor du mich weiter nervst, nerve ich lieber meine Pferde. Die
sind eindeutig zu kurz gekommen in den letzten Tagen. Tschüss, du Lästermaul.«
Auf »ihrer« Route Ettensberg-Gunzesried war der Weg das Ziel, und
normale, vernunftbegabte Menschen hätten diese Straße heute gemieden. Die
Fahrbahn war schneebedeckt und zerfurcht, in den passartigen Kurven war es
glatt wie auf einer Eisbahn. Wozu hatte man Allrad! Gunzesried sah heute aus
wie aus dem Winterprospekt. So hätten die Journalisten das Allgäu sehen müssen!
So hätte Jens das Allgäu sehen müssen! Patti hatte sie an Jens erinnert, und Jo
lag ihr Auftritt in Berlin immer noch schwer im Magen. Sie dachte an Jens,
seine weiche Haut, eine Nacht, deren Zauber so brutal an der Realität
zerbrochen war. Und an ihrer eigenen Blödheit. Nimm dich zusammen, sagte sich
Jo und betrachtete die Landschaft. Schneehauben saßen auf den Dächern,
besonders vorwitzig auf den Dächern der Vogelhäuschen. Die Luft sollte man
eigentlich in Flaschen verpacken und smoggeplagten Städtern zum
Daran-Schnüffeln verkaufen, dachte sie.
Eine wunderbare Ergänzung zum Kitschbild gaben die Pferde ab. Sie
galoppierten durch den Tiefschnee – wild buckelnd, die totale Lebensfreude.
Fenjas Fohlen hatte echte Probleme, der Schneemassen Herr zu werden. Als Jo
nach ihnen rief, ruckten die Köpfe hoch. Fenja gab ein tief grummelndes Wiehern
von sich, Falco sein hohes Quieken, das für einen stattlichen Wallach nun
wirklich peinlich war. Jo musste lachen und brachte es nicht übers Herz, die
Viecher bei ihrem Spiel zu stören. Sie schaute ihnen eine Weile zu und ging
dann den Stall ausmisten. Das war eine einfache und beruhigende Tätigkeit mit
Erfolgsgarantie. Als sie in einer rosa Dämmerung wieder Richtung Heimat fuhr,
war sie glücklich und gut gelaunt.
In Stein erinnerte sie sich an die Adresse von Irene und Quirin. Ob
sie da nicht einfach mal vorbeischauen sollte? Sie hatte heute Vormittag noch
mal versucht, Gerhard zu erreichen. Aber wenn der nie ans Telefon ging! Sie
hätte sich ja vielleicht entschuldigt für ihr ungestümes Voranpreschen, und sie
hätte ihm vielleicht von Irene und Quirin erzählt. Aber so? Dann würde sie
jetzt eben mit Quirin reden. Ihm ein gutes Gefühl geben. Beim Bierwagen-Sepp
hatte das ja auch funktioniert.
Erst vor dem Haus überlegte Jo, was sie eigentlich sagen wollte.
Vielleicht könnte sie nach Sandra fragen? Ob die wohl da sei, sie sei gerade
zufällig vorbeigekommen? Quatsch, Quirin war klug genug, das nicht zu glauben.
Als sie an der Tür läutete, hatte sie immer noch keine Idee.
Quirin öffnete. Er kam Jo noch dünner und blasser vor als beim
letzten Mal. Unter seinem modisch engen Rippenpulli zeichneten sich die
Schulterknochen ab. Hörte man nicht auch zunehmend von Magersucht bei Jungs?
Quirin strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
»Die Frau Reit-Doktor. Sie interessieren sich für meine Schwester?«
Sandra! Sie hätte es ahnen müssen!
»Ach, ich hab da so ein Foto gesehen, da war ein Mädchen drauf, das
sah dir so ähnlich, dass ich dachte, das könnte deine Schwester sein«, sagte Jo
und kam sich extrem dämlich vor wie sie hier im Türrahmen stand.
Quirins durchdringende Augen, dieses Braun mit gelben Sprenkeln,
starrten sie an. »Und um mir diese bahnbrechende elementare Erkenntnis
mitzuteilen, sind Sie hergekommen?«
»Quirin, jetzt lass halt mal den Scheiß. Ich muss mit dir reden.«
Von wegen Jugend-Versteher! »Kann ich reinkommen?«
Quirin machte eine vage Handbewegung und lenkte Jo in einen Raum,
der aus einer halboffenen Küche und einem Essplatz im Erker bestand. Hier war
jemand am Werk gewesen, der ein Händchen für Design hatte. Kornblumenblau, Gelb
und Weiß dominierten die Vorhänge, Kissen und Sets. Das ganze Ambiente wirkte
skandinavisch heiter.
»Nett!«, sagte Jo.
»Das liegt am Auge des Betrachters. Meine Mutter ist die Inkarnation
von Schöner Wohnen und Ikea«, sagte Quirin – zynisch wie immer – und sank auf
einen weiß lackierten Holzstuhl.
»Du scheinst deine Mutter ja nicht sehr zu schätzen?« Jo sah ihn
scharf an.
Er hielt ihrem Blick locker stand. Und auf einmal schrie er fast:
»Was wollen Sie eigentlich? Was stochern sie in meinen Gedanken herum?«
Jo zuckte zusammen. »Ich will die Wahrheit wissen über Adi
Feneberg!«
Rumms, das war ja
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